Zum Hauptinhalt springen

Horst Dietzel

Fünf Irrwege und ein Pfad in die Zukunft

Uferlose Forderungsprogramme oder schlichter Antikapitalismus helfen nicht weiter. Radikalität ja, aber konkret.

„Ein weiter so darf es nicht geben“, so schallte es aus den Führungsetagen der Partei vor allem nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Nach dem Erfolg von Bodo Ramelow in Thüringen hieß es von der Parteispitze, DIE LINKE sei im Aufwind. Aber allen wichtigen Akteuren der Partei ist klar, es muss sich was ändern, um bundespolitisch wieder in die Offensive zu kommen Aber was soll sich ändern? Welchen anderen Weg soll die Partei einschlagen? Hier wird es schwieriger.

 

Selbstverständlich spielt die soziale Frage nach wie vor eine große Rolle. Die Schere zwischen arm und reich wurde nicht kleiner, wenn auch die Hochzeit des Neoliberalismus  weitgehend vorbei ist. Die Wohnungsfrage hat an Bedeutung in den sozialen Auseinandersetzungen zugenommen. Bei den Bildungschancen ist die soziale Schere weiter auseinander gegangen. 

Die Globalisierung bringt neue Gewinner und Verlierer hervor. In Deutschland ist eine völkisch-nationalistische Partei entstanden, die nicht nur eine vorübergehende Erscheinung sein wird. Die neuen Spaltungslinien sind nicht allein materiell, sondern oftmals kulturell dominiert. Diese sozio-kulturelle Spaltung wird von der Linkspartei kaum thematisiert. Der Widerspruch zwischen Kapital-Arbeit fächert sich nicht nur in viele Einzelfragen auf. Er verändert sich durch die Umbrüche in der Arbeitswelt, in der Entwicklung der Produktivkräfte und in der Lebenswelt der Menschen. Und zwei herausragende Trennlinien lauten: Flüchtlinge aufnehmen und integrieren oder ausweisen und sich abschotten. Die andere Trennlinie: Klima retten oder den von Menschen gemachten Klimawandel leugnen. Parteipolitisch sind die Pole: Grüne und AfD. Das Problem der Linkspartei ist, dass sie potentiell Wählerschichten (ähnlich wie die SPD) in sehr unterschiedlichen Milieus hat. Sie darf sich nicht auf ein Milieu fokussieren. Das scheint auch allgemein in der Partei akzeptiert zu sein. Um hier die richtige Strategie zu finden, gilt es zunächst die Irrwege auszuschließen.

 

Fünf Irrwege tun sich auf:

 

  1. Eine entscheidende strategische Frage lautet: Orientiert sich die LINKE machtpolitisch weiter auf ein Bündnis mit SPD und Grünen oder meint sie „Rot-Rot-Grün“ ist tot. DIE LINKE müsse sich als „dritter Pol“ neben dem Block Union/SPD/Grüne und der AFD profilieren. Das allerdings ist ein Irrweg. Er führt in die Isolation, weil einer weiter links-radikalisierten Partei nur ein sehr eingeengtes Wählerspektrum zur Verfügung stehen würde. Sie verzichtet auf eine Regierungsoption und befördert zusätzlich noch einen möglichen Block aus Union, SPD und Grünen. Und sie würde noch stärker als linkes Gegenstück („linker Rand“) zur AfD von ihren politischen Gegnern apostrophiert werden. Auf der inhaltlichen Ebene das sozialistische Ziel noch stärker in den Vordergrund zu rücken, schreckt viele Menschen zu Recht ab, weil die Erfahrungen mit dem „Realsozialismus“ nachwirken. Da kann die Partei noch so viele schöne Attribute vor das Wort „Sozialismus“ setzen, das wird nicht überzeugen. Der Name „DIE LINKE“ wurde bei ihrer Gründung zu Recht gewählt, weil der Begriff „sozialistische Partei“ zu eng gewesen wäre.
  2. „Mehr Populismus von links gegen den Populismus von rechts wagen.“ Das ist schon mit der Bewegung „Aufstehen“ von Sahra Wagenknecht gescheitert. Oftmals wird diese Richtung unter dem Slogan vorgetragen, man müsse eine Sprache sprechen, die die bildungsfernen und sozial benachteiligten Schichten auch verstehen. Die Losungen der Linkspartei und ihre Forderungen waren nie so formuliert, dass man sie nicht verstehen konnte. (Und verquere theoretische Arbeiten werden dort ohnehin nicht gelesen.) Allerdings ist die Methode, ausgesuchte bessere sozialpolitische Regelungen aus anderen Ländern eklektisch einfach für Deutschland einzufordern, äußerst unseriös. (Z. B. im saarländischen Wahlkampf: Rente wie in Österreich - 700 Euro mehr!). Das stößt aufgeklärte Schichten eher ab. Es hilft auch nicht weiter die Forderungsprogramme uferlos auszudehnen und immer noch mehr zu fordern, nach dem altbekannten Motto „Wünsch Dir was?“. So hat im Brandenburger Wahlkampf es auch nicht geholfen, die Forderung nach erhöhtem Mindestlohn noch schnell von 12 auf 13 Euro anzuheben.
  3. Ein Zurück zur Arbeits- und Sozialpolitik des Fordismus und die pauschale Ablehnung der Globalisierung und der EU wären fatal. Rein nationalstaatliche Regulierungen wie in den 60er oder 70er Jahren bringen nicht mehr die Ergebnisse. Auch allgemeine Verstaatlichungsforderungen, um die Probleme zu lösen, helfen nicht weiter. „Wir stellen die Eigentumsfrage“ schlechthin als Markenzeichen der LINKEN herauszustellen, bringt nicht viel, wenn die Antwort nicht exakt und überzeugend ausfällt. (So z. B. die Forderung, die Lufthansa wieder zu verstaatlichen). Außerdem haben viele noch vor Augen, wohin das allgemeine „gesellschaftliche Eigentum“ geführt hat. Wenn eine solche Forderung erhoben wird, dann immer konkret und überzeugend.
  4. Die liberale Demokratie darf nicht gering geschätzt werden, um Stimmungen bei den sozial besonders schlecht gestellten Schichten zu bedienen. Andererseits kann es nicht darum gehen, bei der Lebensweise, der Klima- und Flüchtlingsfrage, die Grünen noch übertreffen wollen, nach dem Motto: Was die wollen und machen, das ist viel zu wenig, es muss alles viel radikaler umgesetzt werden. Und es darf nicht passieren, dass wir uns auf eine hypermoderne Lebensweise fokussieren. Andererseits kann sich die LINKE auch nicht an überholten Familienvorstellungen u. ä. orientieren.  Sie darf aber auch nicht den Eindruck erwecken, sie sei abgehoben, wie das bei bestimmten Milieus den Grünen der Fall ist. Das ist ein schwieriges Feld, die einen nicht zu verlieren, wenn man den anderen zu sehr entgegen kommt. Es ist aber in erster Linie kein materielles, sondern ein kulturelles Problem. Es verläuft heute eine Trennlinie zwischen einer Kultur der Öffnung- und einer Kultur der Schließung, zwischen liberalen und geschlossen-nationalistischen Strömungen (Cornelia Koppetsch)
  5. Sozialromantische Vorstellungen helfen auch nicht weiter, nach dem Motto: Alternative Praxen vor Ort vernetzten und so eine neue Gesellschaft schaffen. Das ist zwar zu fördern, aber das wird immer beschränkt bleiben. Auch solche aus den 70er Jahren stammenden Forderungen wie nach regionalen Wirtschafts- und Sozialräten, wie sie jetzt wieder in einem Programm für Ostdeutschland auftauchen, sind nicht Ziel führend. Es wird hier eine neue Institution neben den Parlamenten geschaffen, die Ideen entwickeln sollen, „was wie produziert werden kann“. Das läuft letztlich auf eine weitere Bürokratisierung der Investitionstätigkeit hinaus und geht an der modernen Wirtschaft mit internationalen Wertschöpfungsketten vorbei. Stattdessen wäre eine breitere demokratische Beteiligung in die Entscheidungsfindung der gewählten Institutionen angebracht.

 

      Es bleibt nur ein schmaler Pfad, um nicht falsche, ausgetretene Wege zu gehen. Zum Handwerkszeug gehört dabei, zwar verschiedene Schichten verschieden anzusprechen, aber nicht Auseinandersetzung auf offener Bühne! Der Fehler in der Flüchtlingsfrage war gravierend und darf sich nicht wiederholen. Bei Anstrich-Forderungskatalogen stehen zu bleiben, reicht nicht. Die Sicherheitsinteressen der Leute sind ernst zu nehmen.

      Um es einfach zu sagen: Die Partei braucht eine in sich schlüssige Erzählung, was wir mittelfristig für eine Gesellschaft wollen und wie das mit wem umzusetzen möglich ist. Wir leben in einer Zeit voller Umbrüche, der Produktivkräfte, der Sozialstruktur, der Lebensweisen und auch des Parteiensystems. DIE LINKE sollte sich von einer anti-neoliberalen Partei hin zu einer Partei profilieren, die in dieser Umbruchphase die Sicherheitsinteressen der Leute ernst nimmt, aber nicht rückwärtsgewandt auftritt. Die Abstiegsängste sind nicht nur materieller Art, sondern es geht auch um mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit, Lebensarbeit und Lebensweise. Anders formuliert: DIE LINKE muss eine schlüssige Antwort geben, wie die Leute mit einer Zukunftsperspektive durch die Umbruchphase kommen. Es ist nicht mehr die ferne schöne, sondern die herangerückte greifbare Zukunft, die den imaginären Raum der Hoffnung, Planung und Gestaltung absteckt. (denkwerk demokratie, Werkbericht Nr. 6) Vor allem jungen Leuten geht es in erster Linie nicht mehr um die Erfüllung großer Utopien, sondern um die eigene Gestaltungsfähigkeit in überschaubaren Räumen (ebenda).  Auf eine „große Utopie“ soll nicht verzichtet werden, aber es bedarf eines progressiven Gesellschaftsentwurf bzw. progressiver Lösungsangebote hinsichtlich der Folgen und Gefahren, die aus Öffnungs- und Transnationalisierungsprozessen“ (Cornelia Koppetsch) hervorgehen. Das sind nicht nur Verteilungsfragen. Uferlose Forderungsprogramme oder schlichter Antikapitalismus helfen nicht weiter. Radikalität ja, aber konkret. Und es muss immer ein Feld sein, das einen großen Teil der Bevölkerung auf den Nägeln brennt. Als Hintergrund ist dabei zu beachten, dass der alte industrielle Klassenkonflikt irreversibel zu einem sozial-ökologischen Transformationskonflikt wird. (Klaus Dörre) Letztlich steht für die linken Kräfte generell die Frage, ob sie weitgehend unterrepräsentiert bei den Schichten bleiben kann, die mit den heutigen und zukünftigen modernen Produktivkräften verbunden sind.

     

Zurück zur Übersicht