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Felix Pithan

Warum eine Mitgliederpartei als Miniaturparlament nicht funktioniert

Um die Parteiarbeit attraktiver zu machen, brauchen wir eine andere Kultur der Kooperation.

 

Zu oft erleben vor allem neue Mitglieder der LINKEN die Arbeit in der Partei als abschreckend. Sie treffen auf  unflexible Strukturen, immer die gleichen Leute, die viel und lang reden, verhärtete Konflikte, die oft auf verletzende Weise ausgetragen werden und wenig produktive Ergebnisse gemeinsamer Arbeit, verlieren schnell die Lust auf Engagement und werden zu passiven Mitgliedern oder treten gar wieder aus.[1] Ein Grund dafür ist, dass die Partei sich auch in ihrer Basisarbeit – oft unbewusst – zu stark an parlamentarischen Strukturen und Vorstellungen orientiert und damit unattraktiv und ineffektiv wird. Um die Parteiarbeit attraktiver zu machen, brauchen wir eine andere Kultur der Kooperation und müssen verschiedene Methoden zur Gestaltung von Treffen und Sitzungen ausprobieren.

 

1. Konfliktverhalten: Alle sind sich einig, dass eine zerstrittene Partei schlecht ist. Schlecht für Wahlergebnisse, schlecht für Mitgliederwerbung und schlecht für gesellschaftliche Verankerung und Durchsetzungskraft.

Die Struktur parlamentarischer Arbeit, insbesondere die um ein Abgeordnetenmandat gruppierten Ressourcen, ermöglichen es, sich dauerhaft in verhärteten Konflikten einzurichten. Das färbt auf die ganze Partei ab. Niemand findet es gut, in dauerhaftem Streit zu arbeiten. Statt Konflikte zu lösen oder so zu bearbeiten, dass die verschiedenen Seiten gut zusammenarbeiten können, kann man sich trotzdem in Konflikten einrichten – vor allem, wenn man sich in seinem eigenen Aufgabenfeld, mit eigenen Mitarbeiter*innen und Zugang zu Medien eine Komfortzone schaffen kann, in der nur die eigene Position zählt. So kann man in der Partei, aber außerhalb der eigenen Konfortzone, mit einem hohen Maß auch destruktiv ausgetragener Konflikte leben. Diese Konfliktkultur prägt die Partei auch in Bereichen, in denen es eigentlich nicht genug Ressourcen für funktionierende Komfortzonen gibt: Kreisverbände wirken nicht integrativ, sondern sichern die Dominanz einer Position oder einer Personengruppe ab, Kommunalfraktionen wirken als konkurrierende Einzelkämpfer*innen statt als effektives Team.

 

2. Kampagnenfähigkeit: Jede Abgeordnete hat ihre Ausschüsse und ihre Sprecher*innenfunktionen – je größer die Fraktion, desto kleinteiliger. Nur so können wir die große Themenvielfalt des parlametarischen Alltags bewältigen. Oft steht diese Struktur aber der Konzentration von Ressourcen und damit dem Aufbau von Kampagnenfähigkeit entgegen: Statt aktuell zentrale Herausforderungen auszumachen und mit ganzer Kraft daran zu arbeiten, muss in parlamentarischer Logik immer die ganze Bandbreite an Themen möglichst gleichberechtigt vorkommen. Schließlich hat jedes Fachthema sein Publikum und seine wichtigen Interessensgruppen und Verbände, und jede Abgeordnete muss sich auch mit Blick auf die nächsten Listenaufstellungen mit ihrem Spezialgebiet präsentieren können. Diese Logik, Politik nach Fachthemen abzuhandeln, zieht sich von den Fraktionen durch alle Gliederungsebenen der Partei.[2] Die Bildung kollektiver Arbeitsstrukturen für zentrale Herausforderungen tritt hinter der kleinteiligen Aufteilung vor allem thematisch-inhaltlicher Arbeitsbereiche zurück.

 

3. Diskussionsformate: Noch die kleinste Kreismitgliederversammlung oder Basisgruppensitzung wird nach dem Muster einer Parlamentsdebatte geführt. Eine Redeliste (hoffentlich quotiert) und Monologe, so lange sie die Sitzungsleitung erlaubt, führen zu wenig Bezug der Rednerinnen aufeinander und machen es schwer, gemeinsame Positionen und Aktionen zu entwickeln und verbindliche Absprachen zu treffen. Die oft männlich dominierte Rede(un)kultur unserer Partei wird von der Struktur unserer Versammlungen (gerne um einen Tisch, noch besser auf ein Podium oder Präsidium ausgerichtete Stuhlreihen) ermöglicht und unterstützt. Es passiert leicht, dass Neumitglieder zu ihrem ersten Treffen kommen und am Ende des Abends gehen, ohne ein Wort gesagt zu haben. Andere Diskussionsformate als das Plenum mit Redeliste, die mehr Menschen aktiv einbeziehen, wie Gespräche in Kleingruppen, den Bezug auf andere Positionen erleichtern, wie Fishbowl-Diskussionen[3], oder Wiederholungen und lange Monologe durch Aufschreiben und Visualisierung reduzieren, kommen im Parteileben nur selten vor – obwohl sie vielleicht viel besser zum Ziel vieler Treffen und Sitzungen passen würden.

 

Wie können wir eine Parteikultur gestalten, die lebendig ist, Kooperation in den Mittelpunkt stellt und Lust aufs mitmachen verbreitet?

 

Über gute Beispiele reden – und mehr davon schaffen

 

Über unsere parlamentarische Initiativen berichten im besseren Fall die Medien, im schlechteren sorgen zumindest die Abgeordneten und Fraktionen dafür, dass sie in der Partei bekannt werden.  Über erfolgreiche Formate (oder auch gescheiterte Versuche) unserer Basisarbeit müssten wir selber reden, um Erfahrungen auszutauschen und zur Nachahmung anzuregen.

 

Besonders wirksam ist das Beispiel von Genoss*innen in Führungsfunktionen. Wenn der Parteivorstand einstimmig beschließt, die Kreisverbände dazu aufzurufen, zu einer wichtigen Demo zu mobilisieren, aber keins der 44 PV-Mitglieder dazu im eigenen Kreisverband Aktivitäten anstößt, wird sich die Partei eher am Beispiel als am Beschluss orientieren. Im eigenen Umfeld Beispiele zu schaffen, wie wir als Mitgliederpartei und Partei in Bewegung wirken können, muss eine normale Erwartungshaltung an Mitglieder von Vorständen und vor allem an Abgeordnete werden.

 

Nehmen wir einmal an, wir könnten nur dann Beschlüsse zu Aktionen und Kampagnen fassen, die eine breite Beteiligung der Partei erfordern, wenn mindestens die Hälfte der beschließenden Versammlung auch selbst entsprechend aktiv werden bzw. Aktivitäten im eigenen Umfeld anschieben will. Was würde das mit unseren Diskussionen und Initiativen machen?

 

Besser treffen

 

Wie produktiv und motivierend ein Treffen verläuft, hängt nicht nur von der Laune und Motivation ab, mit der die Parteimitglieder zusammenkommen, sondern ganz entscheidend von den Strukturen und Rahmenbedingungen, in denen wir uns treffen. Diese Strukturen müssen wir bewusst gestalten – was wir immer so gemacht haben, ist nicht zwangsläufig gut. Das gilt nicht nur für Treffen von Basisgliederungen, sondern auch für Vorstandssitzungen, Fraktionsklausuren und Bundesparteitage. Der Jugendverband hat vor einigen Jahren begonnen, einen Teil seiner Bundeskongresse statt im Plenum in thematischen Arbeitsgruppen oder World Cafes zu verbringen[4], und damit die Möglichkeit gewonnnen, mehr inhaltliche Anträge in größerer Tiefe zu diskutieren und Gesprächsformate geschaffen, die auch für Menschen funktionieren, die nicht immer schon vor hunderten am Mikrofon stehen wollten. In der politischen Bildungsarbeit ist es längst eine Selbstverständlichkeit, aus einer Vielfalt von Methoden die zu wählen, die dem jeweiligen Ziel entspricht. Warum sollte das nicht auch in der Parteiarbeit möglich sein?[5]

 

Und nicht vergessen: Sexismus bekämpfen!

Wir müssen mehr dafür tun, dass Frauen und Menschen, die sich in der etablierten Geschlechterordnung nicht wiederfinden, in der LINKEN gleichberechtigt mitarbeiten können – und das sollte und nicht nur auffallen, wenn es bei Vorstands- oder Delegiertenwahlen mal wieder schwer wird, die Frauenquote einzuhalten. Das enspricht unserem Anspruch als feministische Partei, ist aber auch eine Notwendigkeit für eine attraktive Mitgliederpartei. Oder wie es Kerstin Wolter und Alex Wischnewski formulieren: “Wer hat schon Lust, sich nach einem langen Tag, an dem man sich mit dem tyrannischen Chef rumgeärgert hat oder an dem das Kind mal wieder besonders nervig war, noch in eine Parteisitzung einzubringen, in der sich mehrheitlich ältere Männer langatmige oder aggressive Redebeiträge zuwerfen? Kaum eine Frau, aber sicherlich auch viele Männer nicht.”[6] Wir erwarten noch zu oft von einzelnen Frauen in Vorständen, Frauen-AGs oder Frauenplena, dass sie Antworten auf die Frage liefern, wie wir mehr Frauen für DIE LINKE gewinnen können. Stattdessen sollten wir als Männer in der Partei Verantwortung dafür übernehmen, unser eigenes (Rede)verhalten zu verändern und auch anderen Männern klar zu machen, dass für blöde Anmachen, frauenfeindliche Sprüche oder das nicht-ernstnehmen von Genossinnen in einer feministischen LINKEN kein Platz ist. Nein, auch nicht in Witzen. In Bremen haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, parallel zum Frauenplenum des Parteitags ein Männerplenum zu organisieren, dass sich mit dieser Aufgabe auseinander gesetzt hat.

 

 


[1]“Sofern die Austrittsgründe angegeben und erfasst sind (nur in sechs von 100 Austritten wird ein Grund genannt), wird in erster Linie die Unzufriedenheit mit der örtlichen Parteiorganisation (Streit im Kreisverband) genannt” Abschlussbericht der Projektgruppe LINKE 2020

[2]Der amtierende Parteivorstand hat acht Zuständige für internationale Politik, aber keine für die Projektgruppe Mitgliederentwicklung benannt. Die Kampagnen der Partei tauchen im Beschluss zu politischen Zuständigkeiten gar nicht auf  (Beschluss vom 9.9.2018)

[3]Bei einer Fishbowl-Diskussion sitzen die Diskutierenden in einem inneren Stuhlkreis und die Zuhörenden um sie herum. Wer selbst etwas sagen möchte, kann jederzeit einen Platz im inneren Kreis einnehmen.

[5]Gute Anregungen bietet z.B. der “besser Treffen” reader: www.wiredwings.com/documents/bessertreffen-vers_3_0.pdf

[6]Dem »kleinen Mann« ist mehr zumutbar, ND, 26.11.2019

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