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Christian Leye, Landessprecher DIE LINKE. Nordrhein-Westfalen

Was nun?

Es wäre heute die Aufgabe der Linken, ihren Antifaschismus nicht im Rahmen einer sich radikaliserenden Moral, sondern als Teil einer sich radikalisierenden Klassenanalyse zu kommunizieren.

 

Die rücksichtslosen gesellschaftlichen Zurichtungen im Dienste des Kapitals haben unsere Gesellschaft gespalten und verroht. Das diffuse Vertrauen, „irgendwer kümmert sich schon darum, dass man nicht ins Bodenlose fällt“, ist in Jahren des Neoliberalismus wegreformiert worden. Die doppeltfreien Lohnabhängigen spalten sich zunehmend auf: in einen Teil, der sich hält, auch wenn er um seine Position kämpfen muss. Und in einen Teil, der es nicht geschafft hat, weil die Startchancen nicht ausreichten, oder weil ein Schicksalschlag zu viel kam, oder weil der Arbeitsmarkt heute mehr nicht hergibt. Jede Lohnsenkung, jede Rentenkürzung, jede Mieterhöhung hat dabei Armut gefördert und den Reichtum von einigen Wenigen ins Groteske gesteigert. Die besitzende Klasse ist die einzige, die wirklich profitiert hat von den freigelassenen kapitalistischen Zentrifugalkräften. Während Ungerechtigkeit und Unsicherheit einem wachsenden Teil der Bevölkerung den Glauben an „die da oben“ genommen hat, was in Deutschland eher auf die politische Klasse zielt als auf das Kapital, bleibt ausgerechnet unsere Partei seltsam blass am Spielfeldrand stehen.

Unser strategisches Problem ergibt sich aus der Krise des Produktionsregimes, der daraus abgeleiteten Krise der parlamentarischen Demokratie und der so gewachsenen Erfolge der AfD. Die Frage ist: Wie umgehen mit Neoliberalismus und Rechtspopulismus? Eigentlich sind es optimale Voraussetzungen für uns als Linke, historisch betrachtet sind unsere Kerntehemen die soziale Frage und der Antifaschimus. Und doch versemmeln wir es als Partei alle zusammen, dieser politischen Verantwortung unserer Zeit gerecht zu werden.

Verkürzt und zugespitzt gab es in den vergangenen Jahren zwei Positionen in der Strategiedebatte: Die einen wollten die Rechten schlagen, indem sie vor allem den gesellschaftlichen Nährboden der Rechten angreifen und die soziale Spaltung in den Vordergrund stellen. Die anderen wollten die Rechten insbesondere über einen Kulturkampf schlagen, indem sie unmittelbar gegen deren Rassismus, Sexismus und Chauvinismus vorgehen. Da wir die ganze Partei brauchen werden, um den Herausforderungen gerecht zu werden, ist es wichtig angesichts der Härte der innerparteilichen Auseinandersetzung nicht zu vergessen: Beide Ansätze wollen soziale Ungleichheit und eine rassistische Rechte bekämpfen. Wir sind Genossinnen und Genossen und wir kämpfen gemeinsam für eine bessere Welt. Aber die Frage der Strategie, die Frage der Prioritäten und damit die Frage des Weges müssen geklärt werden. Wir müssen aufhören, komplexe Probleme auf der Folie eines Machtkampfes zu diskutieren, denn so reduziert sich jedes Argument auf ein simples „Für welche Seite war das ein Punkt?“ Keine Pappkameraden, kein absichtliches „falsch verstehen“, keine Rhetorik ohne Inhalte mehr.

Anders als die Grünen hat Die Linke mindestens zwei Wählermilieus mit unterschiedlichen Sichtweisen auf die Gesellschaft. Sie zu verbinden wäre unsere Aufgabe gewesen. Jedoch scheiterten wir daran insbesondere bei den Europawahlen, aber auch bei Landtagswahlen im Osten, während die AfD schmerzhafte Erfolge einfuhr. Die moralisch-aufgeregte Polarisierung gegen Rechts in ihrer jetzigen Form nutzt der Linken offenbar nichts. Das hängt auch damit zusammen, dass es eigentlichkeine Rechts-Links Polarisierung ist, sondern eine zwischen rechten und demokratisch-liberalen Positionen. Dies hat zwei Folgen: der Teil unserer Wähler, der für diese Form der Polarisierung empfänglich ist, wählt im Zweifel anstatt uns auch mal eine demokratisch-liberale Partei: zum Beispiel die Grünen; oder eine Satirepartei, weil die eine gute Idee für einen Werbespot hatte oder auch CDU oder SPD, weil die bei einer Landtagswahl den aktuellen Ministerpräsidenten stellen. „Hauptsache nicht die Rechten“ erklärt noch lange nicht, wieso man links wählen sollte. Die zweite Folge ist, dass andere Teile unserer Wähler sich ebenfalls abwenden. Weil sie das Gefühl haben, mit der AFD „denen da oben“ eine Ansage machen zu können, weil die AfD ihre Ressentiments in die Debatten trägt oder sie mit einer „demokratischen Einheitsfront der moralisch Empörten“ nichts anfangen können, nachdem ein Teil dieser Moralisten jahrelang ihre Löhne, Renten und Sozialleistungen gekürzt hat.

Es wäre heute die Aufgabe der Linken, ihren Antifaschismus nicht im Rahmen einer sich radikaliserenden Moral, sondern als Teil einer sich radikalisierenden Klassenanalyse zu kommunizieren – so wie es in der Arbeiterbewegung üblich war. Für einen guten Teil der Menschen strukturiert sich das Leben eben nicht in links und rechts, sondern in oben und unten. Daran gilt es anzuknüpfen und den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zu politisieren. Die Rolle der Moral sollte vor allem eine strategische sein – etwa um bürgerliche Parteien davon abzuhalten, mit der AfD ins Bett zu gehen. In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls unsere Aufgabe, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzuholen. Möchten wir wirklich, dass ein Viertel der Wähler einfach bei den Rechten bleibt? Es muss klar sein: Rechtspopulisten, die im Foto-Finish gerade noch zweitstärkste Kraft werden, verändern die Gesellschaft. Sie sind Oppositionsführer, sie haben riesige Fraktionen, sie haben Pressezugang und sitzen in den Talkshows. Eine antifaschistische Strategie, die mehr ist als die Ergriffenheit über die eigene Empörung muss um jeden Preis den Rechten ihre Strukturen und die politische Macht aus den Händen schlagen, damit sie die Gesellschaft nicht weiter vergiften können.

Gleichzeitig polarisiert sich die Gesellschaft. Mit Fridays for Future gingen Schülerinnen und Schüler auf die Straße und schoben zusammen mit den Demonstrationen für den Hambacher Forst das Klimathema auf die politische Tagesordnung. Auch formierten sich große Demonstrationen gegen das Polizeigesetz oder für sichere Häfen – und Die Linke war stets dabei. Das ist gut und richtig, denn in den sozialen Bewegungen sammeln sich häufig fortschrittliche Kräfte und sie können mitunter Druck erzeugen, der nicht alleine aus der parlamentarischen Arbeit entsteht. Trotzdem sollten wir unser Bild von sozialen Bewegungen sortieren. Dazu sei eine Stellungnahme der „Bewegungslinken“ zu den verlorenen Landtagswahlen im Osten zitiert. Dort heißt es: „Und die Partei muss im Alltag der Menschen stärker wahrgenommen werden, als Akteur in sozialen Bewegungen und lokalen Initiativen, mit offenen Stadtteilläden statt Büros, die mitunter eher wie ein Museum anmuten.“

Liebe Genossinnen und Genossen, was glauben wir eigentlich, wie viele Menschen außerhalb der linken Seifenblase einen „Alltag in sozialen Bewegungen“ haben? Wie viele unserer Mitmenschen sind Teil einer „lokalen Initiative“ oder können in eigenen Worte beschreiben, was ein „offener Stadtteilladen“ auch nur ist? Dieser Satz sagt viel darüber aus, wieso es uns so schwer fällt, mehr Menschen zu erreichen. In einer durchschnittlichen Großstadt sind es nur ein paar hundert Menschen, die einen Alltag in sozialen Bewegungen, lokalen Initiativen und in einem offenen Stadtteilladen haben. Und alle, aber wirklich alle anderen Menschen in dieser Gesellschaft leben nicht so.

Wenn wir den Anspruch „For the many, not the fews“ ernst nehmen, müssen wir aus der Szene rauswachsen. Schlauer wäre es, als Partei eine Scharnierfunktion zwischen Bevölkerungsmehrheit und sozialen Bewegungen einzunehmen und so unseren Werkzeugkasten bewusst auszuschöpfen statt zu verengen. Das Rauswachsen aus der Szene hätte einen weiteren Vorteil: die linke Szene hat wie jede andere Szene auch eigene soziale Codes. Es gibt soziale Spielregeln, es gibt bestimmte Formen zu sprechen und sich anzuziehen, es gibt Dos und Don'ts. Und Linke versuchen gerne, diese Verhaltensformen anderen mit der vollen Wucht der moralischen Überlegenheit aufs Auge zu drücken: eine Sprache, an der jahrzehntelang gefeilt wurde, damit sie geschlechtergerechter wird, muss von allen fehlerfrei verwendet werden. Ähnliches gilt für die Lautstärke von Redebeiträgen, die vegane Ernährung oder den ökologischen Fußabdruck. Die Anpassung an die linke Szene wird mit einem moralischen Pathos eingefordert, der sich gewaschen hat, denn: wir haben ja Recht!

Einerseits gilt: wir haben wirklich oft Recht. Andererseits gilt auch: das interessiert die meisten Menschen nicht mehr, wenn man sie vorher mit gerümpfter Nase von oben herab behandelt hat, weil sie die linken Spielregeln nicht kennen. Die linke Sprache, „unsere Szenecodes“ dienen oft nicht mehr der Kommunikation, sondern der Abgrenzung und erschweren am Ende Verständigung. So schaden wir unseren politischen Zielen und das dürfen wir nicht tun. Dafür ist das, wofür wir gemeinsam kämpfen wollen, zu wichtig. Unabhängig davon ist es nicht links sondern elitär, von oben herab auf Menschen zu blicken, die nicht im Uni-AstA in linken Szenesprech eingeführt wurden.

Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir können und wo wir die höchste Glaubwürdigkeit haben: die soziale Frage und die Friedensfrage. Und selbstverständlich müssen wir uns zur Ökologie positionieren, schon weil wir den Planeten auch im Sozialismus brauchen werden, aber das müssen wir in rot tun und nicht in grün. Vielleicht sind wir als Partei oft nicht stark genug, der gesellschaftlichen Debatte unsere Themen aufzuzwingen. Aber wir sollten zumindest bereit sein, wenn der Ball in unser Spielfeld kommt. Wenn es überhaupt etwas gibt, was wir vom aktuellen Erfolg der Grünen lernen können dann: bleib deinen Themen treu. Dabei müssen wir uns mutig trauen die Systemfrage zu stellen, mehr Menschen sind heute dafür wieder offen. Wir sollten uns aber auch kleinteilige und konkrete Antworten trauen, denn ohne die geht es nicht. Wir brauchen die bewusste Öffnung über die Szenegrenzen hinaus, wenn wir als Klassenpartei wirklich den Kapitalismus überwinden möchten. Dabei brauchen wir aber auch eine Verankerung in Bewegungen. Wir müssen auf all unseren Stärken bauen, wenn wir diesen Kampf gewinnen wollen.

 

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