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Jan Schiffer

DIE LINKE steckt in einer Sackgasse

Auch, wenn es falsch ist, wenn einige Genoss*innen den Untergang an die Wand malen (Durch die Agenda 2010 und unsere Verwurzlung im Osten haben wir eine nennenswerte Kernwählerschaft), ist nach der Europawahl sowie den Wahlen in Sachsen und Brandenburg klar, dass eine neue Strategie überfällig ist. Viele Probleme wurden in der Debatte angesprochen. Ich werde versuchen, weniger die Probleme zu benennen, sondern zu skizzieren, worin unser Anspruch als Partei liegen sollte - oder könnte - und wie wir versuchen können, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Woher kommt DIE LINKE?

In unserem Parteiprogramm heißt es: "DIE LINKE knüpft an linksdemokratische Positionen und Traditionen aus der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung sowie aus feministischen und anderen emanzipatorischen Bewegungen an. Wir bündeln politische Erfahrungen aus der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland" (S. 9)

Im Programm wird die Geschichte, die die verschiedenen Vorläuferorganisationen der LINKEN durchgemacht haben, als ein Erbe begriffen, an das man anknüpft, als ein Schatz von Erfahrungen, aus dem man für einen "Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert" schöpfen kann.

Die Vorläuferorganisationen kommen dabei aus gänzlich unterschiedlichen Situationen: Die PDS entstand aus der Konkursmasse der SED, die WASG entstand aus dem Zusammenschluss von SPD-Linken, die nicht damit einverstanden waren, dass ihre Partei die Ziele des Gegners verwirklicht, mit linken Kleinstorganisationen, die tendenziell in der gesellschaftlichen Irrelevanz verschwanden. DIE LINKE als erste in der BRD dauerhaft etablierte Partei links der Sozialdemokratie ist also paradoxerweise aus dem Zusammenschluss von verschiedenen Strömungen entstanden, die eines gemeinsam hatten: Das Scheitern.

Die so zusammengekommenen Erfahrungen sind daher im Alltag oft eher Last als Schatz: Man wird am Infostand für die Stasi angepöbelt und viele Parteimitglieder im Westen sind bis heute nicht über die Enttäuschung durch die SPD hinweg.

Die Probleme der DDR wurden oft analysiert, die Lehren daraus sind Teil der DNA unserer Partei: Die Erkenntnis, dass Sozialismus breiten gesellschaftlichen Rückhalt und demokratische Strukturen braucht.

Weniger klar wurde jedoch aufgearbeitet, worin das Scheitern der anderen großen Strömung, aus der wir hervorgegangen sind, begründet liegt:

Das Scheitern der Sozialdemokratie

Die Agenda 2010 war nicht, wie man oft hört, ein "Verrat" an sozialdemokratischen Werten, Schuld an ihr war nicht einfach die Boshaftigkeit der SPD-Führung. Die Agenda 2010 war Konsequenz von Problemen in der Politikkonzeption, die die SPD schon lange verfolgte.

Kernproblem war und ist der Anspruch, "Volkspartei" zu sein. Wie schon Rosa Luxemburg wusste, steht die Konstruktion eines Interesses der gesamten Nation im schärfsten Widerspruch zu sozialistischer Politik, die die realen Interessensgegensätze zwischen den Klassen analysiert und die Aufhebung des Klassengegensatzes fordert. Dadurch, dass die SPD nicht von Klasseninteressen, sondern von "nationalen Interessen" ausging, wurden Maßstäbe wie "Wettbewerbsfähigkeit" für sie erst relevant. So war der Weg weg von linker Politik bereits vorgezeichnet.

LINKE Politik hingegen muss sich immer bewusst sein, für wen sie Politik macht.

Eine Absage ist dabei aber Ansätzen zu erteilen, die DIE LINKE nur zur Interessenpartei der Ärmsten machen wollen. Als sozialistische Partei muss es unser Ziel sein, breiten gesellschaftlichen Rückhalt zu gewinnen, um Schritte aus dem Kapitalismus heraus gehen zu können - und das werden wir nicht als 9%-Partei tun können, unabhängig davon, ob wir die Fundamentalopposition bilden oder kleinster Partner einer rot-rot-grünen Regierung sind. Stattdessen müssen wir Politik im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung machen und so versuchen, an einem "Mitte-Unten-Bündnis" (Michael Brie) teilzuhaben. (Dabei darf nicht der Fehler gemacht werden, "Unten" auf die ökonomische Lage zu reduzieren, neben der kapitalistischen Klassengesellschaft sind u.a. auch Rassismus, Antisemitismus und das heteronormative Patriarchat Machtverhältnisse, die unsere Gesellschaft strukturieren)

Hoffnung auf eine andere Zukunft machen

Doch wie schaffen wir das? DIE LINKE macht schon viel richtig:

Wir erarbeiten auf allen Ebenen am laufenden Band Vorschläge, die die konkrete Lebensrealität der Vielen verbessern würden, Bundestagsfraktion und Parteivorstand haben in zahlreichen Papieren einleuchtende Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit formuliert, von der Zukunft des Sozialstaats bis zum sozial-ökologischen Umbau.

Ich denke, einer der Gründe, warum wir trotz guter inhaltlicher Arbeit bisher keine gesellschaftlichen Begeisterungsstürme auslösen, ist, dass es uns nicht genügend gelingt, diese Zukunftskonzepte zu einer Gesamtvision einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft zu verbinden, die Menschen begeistern kann.

Für den Großteil der Bevölkerung ist politisches Engagement nichts selbstverständliches, der Großteil der Bevölkerung liest sich die schlauen Papiere nicht durch, wenn man also zur Massenpartei werden will (und das muss unser Anspruch sein), muss man den Menschen öffentlichkeitswirksam die Vision einer Zukunft vermitteln, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns nicht nur in (zweifelsfrei wichtige!) Abwehrkämpfe begeben, sondern offensiv darüber reden, wie wir uns ein gutes Leben für alle vorstellen.

Deshalb fand ich es richtig und sympathisch, dass der LV Sachsen mit "Sozialismus"-Plakaten in den Wahlkampf zog. Jedoch gelang es meinem Eindruck nach nicht genügend, diesen Begriff in Bezug zur Lebensrealität der Menschen zu setzen:

Statt einfach "Sozialismus" zu sagen, müssen wir Wege finden, den Menschen ein Bild davon zu vermitteln, was Sozialismus heißt: Ein Leben, in dem sie die Kontrolle über ihre Lebensrealität haben, in dem sie und ihre Kolleg*innen gemeinsam beschließen, wie und für was sie arbeiten. Ein Leben, in dem sie gleichzeitig mehr soziale Sicherheit und mehr persönliche Entfaltungsmöglichkeiten haben.

Aber auch so eine Beschreibung bleibt träumerisch-abstrakt. Um daraus ein politisches Programm und nicht die Beschreibung einer Hippiekommune zu machen, müssen wir Ansätze finden, wo wir Menschen eine solche Gesellschaft konkret erfahrbar machen können.

Es braucht also konkrete Transformationsprojekte, die realistisch erreichbar sind, aber grundsätzlich den Rahmen des Bestehenden überschreiten. Die Erreichbarkeit ist dabei ein zentrales Kriterium: Politisches Engagement entsteht daraus, dass man sich der eigenen Macht bewusst wird und die Hoffnung hat, zu gewinnen. Das heißt auch, dass man sich nicht vor der Übernahme politischer Verantwortung scheuen darf. Die reine Lehre zu vertreten mag zwar die moralisch angenehmste Haltung sein, aber konkrete Transformationsprojekte werden so nicht möglich werden.

Das beste Beispiel dafür, wie man erfolgreich so eine Transformationspolitik fahren kann, gibt uns derzeit der LV Berlin: Dieser schafft es als Teil einer breiten Bewegung, ein konkretes massives Problem aus der Lebensrealität vieler Berliner*innen (zu hohe Mieten) mit einem Kampf für eine grundlegende Umstrukturierung unserer Gesellschaft (Vergesellschaftung des Mietsektors) zu verbinden. Gleichzeitig macht man mit schon umgesetzten Erfolgen (Mietendeckel) klar, dass man gegen die Vermieterlobby gewinnen kann und weckt so Hoffnung, dass der Wunsch nach mehr wahr werden kann.

Wir brauchen mehr solcher Kämpfe. Ein Thema, was sich anbietet, ist dabei der Kampf um die Arbeitszeit. Forderungen nach einer 4-Tage-Woche und/oder einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich bekommen immer mehr Aufmerksamkeit sie eignen sich besonders für linke Politik, da hier verschiedene Themen zusammenkommen: Eine kürzere Arbeitszeit ist nicht nur eine Forderung, die direkt das Leben von Arbeiter*innen verbessert, sie ist auch ein entscheidendes Element feministischer Politik, da sie Teil einer Umverteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern sein kann. Auch gibt es, wie z.B. die Kampagne für eine 4-Tage-Woche immer wieder betont, mehrere Studien, nach denen auch für ökologische Ziele durch eine Arbeitszeitverkürzung viel gewonnen werden kann.

Uns ändern, um alles zu ändern

Doch um diese Themen aufgreifen zu können und durch sie wachsen zu können, ist es notwendig, die Art, wie wir in der Partei politisch arbeiten, zu ändern:

Um eine neue Generation von Aktivist*innen integrieren zu können, müssen wir die Strukturen offener gestalten.

Kommunikation nur über E-Mail entspricht nicht mehr den Gewohnheiten junger Menschen, hier müssen unsere Strukturen lernen, neben den altmodischen Newslettern auch moderne Wege wie Messenger zu bedienen.

Um ein gemeinsames theoretisches Fundament zu bilden, damit sich Neumitglieder, aber auch ältere Basisaktivist*innen stärker in den Debatten einbringen können, ist ein deutlicher Ausbau der internen Bildung notwendig. Es braucht eine Kultur, in der die ständige Bildung von sich selbst und anderen zum Standard wird.

Vor allem aber müssen die Möglichkeiten der Partizipation in den Strukturen verbessert werden:

Viele junge Leute engagieren sich eher in Bewegungen als in Parteien, weil Parteien mit ihren alten, bürokratischen Strukturen oft unattraktiv wirken. Wir müssen deshalb lernen, vor Ort Menschen unbürokratischer einzubinden. Die politische Arbeit muss noch stärker für alle Mitglieder geöffnet werden, Mitgliederversammlungen müssen attraktiver gestaltet werden und es braucht mehr Bildungsangebote, in denen Fähigkeiten für Gremienarbeit, Öffentlichkeitsarbeit usw. weitergegeben werden.

Damit alles anders wird, müssen auch wir uns verändern. Wir dürfen nie in Routinen zurückfallen, sondern leben von der ständigen Suche nach dem besten Weg zu einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. Dieser Weg wird lange sein, vielleicht nie ganz am Ende sein, doch er lohnt sich.

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