Für eine neue Prostitutionspolitik der LINKEN
Susanne Herhaus, Angelika Link-Wilden, Heidi Mehlhorn, Jörg Mehlhorn, Katharina Sass, Fiete Saß, Manuela Schon für das
Netzwerk LINKE für eine Welt ohne Prostitution
Deutschland ist zum Bordell Europas geworden - und DIE LINKE schweigt
Deutschland ist durch die neoliberale Prostitutionsreform von 2002 zum Bordell Europas geworden. Während Nachbarländer daran arbeiten, Prostitution und Menschenhandel einzudämmen, sind bei uns die Möglichkeiten für die Profiteure grenzenlos. Den Löwenanteil der Erträge aus der Prostitution streichen Bordellbetreiber, Zuhälter und Menschenhändler ein.
Die Hoffnungen auf eine „saubere“ Prostitution mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen und gewerkschaftlich organisierten Prostituierten, mit denen die Reform 2002 verkauft wurde, sind verflogen. Die Prostitution ist und bleibt eine Institution brutaler Ausbeutung.
Zu alledem schweigt DIE LINKE und das muss sich ändern. DIE LINKE braucht eine Prostitutionspolitik, die ihrem Streben nach Gleichberechtigung der Frauen, sexueller Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit angemessen ist.
Prostitution ist patriarchale Gewalt und Unterdrückung
Patriarchale Herrschaft beinhaltet von alters her die Verfügung von Männern über die Körper der Frauen. Vieles davon ist in der heutigen Rechtsordnung überwunden. Vom Verbot der „ehelichen Züchtigung“ (1907), zum Familiengesetzbuch der DDR von 1965, das Frauen und Männer gleichstellte, in der BRD der Geschäftsfähigkeit (1969) und eigenständigen Jobwahl (1977) von Frauen, über die Abtreibungsgesetze (DDR 1972, BRD 1975/76) weiter zum BRD-Scheidungsrecht der 70er Jahre, bis zum Verbot der Vergewaltigung in der Ehe (1997) führt eine klare historische Tendenz, der die reale gesellschaftliche Entwicklung mit zeitlichem Versatz folgt.
Die Prostitution ist eine Art letzte Bastion. Nur im Bordell können Männer noch ein einseitiges „Recht auf Sex“ einfordern und willkürlich über Frauenkörper verfügen. Die Institution der Prostitution ist mit der Menschenwürde (GG Art. 1) unvereinbar.
- Prostitution ist psychische Gewalt: Prostitution zerstört das Selbstwertgefühl der Prostituierten, bewirkt posttraumatischen Stress mit Symptomen wie bei Vergewaltigungsopfern. Die Befunde der TraumatherapeutInnen sind eindeutig.
- Prostitution ist regelmäßig mit körperlicher Gewalt verbunden.[1]„Wenn etwas noch allgegenwärtiger vorhanden ist als Gewalt an sich, so ist es deren Androhung. […] Auf jedes Mal, das ich geschlagen, verprügelt oder an den Haaren herumgezerrt worden bin, kommen unzählige subtile oder offene Androhungen solcher Handgreiflichkeiten.“[2] Auch Morde und Mordversuche an Prostituierten sind häufig.
- Prostitution ist männliche sexualisierte Gewalt, die sich vor allem gegen jene richtet, die wirtschaftlich oder ethnisch diskriminiert werden. In der Prostitution herrscht ein extremes Machtgefälle. Die Mehrheit der Opfer sind Frauen und Mädchen, obwohl ihr auch Männer, Jungen und non-binäre Personen zum Opfer fallen.
- Menschenhandel und Prostitution sind zwei Seiten einer Medaille. Laut Bundeskriminalamt zielt fast der gesamte Menschenhandel auf den Prostitutionsmarkt.
Häufig wird Prostitution als „Sexarbeit“ verharmlost. Aber was ist das für eine „Arbeit“, die mehr posttraumatische Störungen erzeugt als bei Soldaten im Kriegseinsatz? Bei der Gewalterfahrungen zum Alltag gehören? Wenn Prostitution „Arbeit“ wäre, dann wäre es im Hartz IV System zulässig, dass Jobcenter Frauen in die Prostitution schickten. Das Bundessozialgericht hat das geklärt: Prostitution ist keine normale Arbeit.
Hinter der Entscheidung zur Prostitution stehen fast immer Armut, Erwerbslosigkeit, frühere Gewalt- und Missbrauchserfahrungen und fehlende Alternativen. Das hat mit „Freiwilligkeit“ nichts zu tun.
Sexualität soll keine Ware sein, sondern zwischen Freien und Gleichen lustvoll gelebt werden können. In der Prostitution ist das nicht möglich.
20 Jahre „nordisches Modell“ – eine Erfolgsgeschichte
Es ist kein Zufall, dass der Angriff auf diese Bastion des Patriarchats 1999 in Schweden begann, einem Land, das über die höchsten sozialen Standards und einen hohen Stand der Frauenemanzipation verfügte. Bordelle und Zuhälterei waren schon lange verboten und eine finanzkräftige Prostitutionslobby konnte sich nicht formieren.
Mit dem Sexkaufverbot stellte 1999 der Gesetzgeber in Schweden den Kauf sexueller Handlungen unter Strafe. Prostituierte werden nicht belangt. Zum nordischen Modell gehören außerdem soziale Programme, Ausstiegs- und Hilfsangebote für Prostituierte. Sogar Männern, die aufhören wollen, Sex zu kaufen, wird Unterstützung angeboten.
Nach 20 Jahren Erfahrung mit dem Sexkaufverbot in Schweden ist der Erfolg unbestreitbar. Der schwedische Botschafter für die Bekämpfung des Menschenhandels, Per-Anders Sunesson, zitiert Interpol mit der Einschätzung, dass der Menschenhandel in Schweden wegen mangelnder Nachfrage weitgehend zum Erliegen gekommen sei. Die Strategie, an der Nachfrage anzusetzen hat sich als effektiv erwiesen. 80% der schwedischen Bevölkerung befürworten das Sexkaufverbot. Besonders junge Männer lehnen Prostitution heute mit großer Mehrheit ab.
Diese Erfahrungen sind in Deutschland wenig bekannt. Wir diskutieren hier über Einwände, die mit einem einfachen Faktencheck auszuräumen wären.
So wird behauptet, das Sexkaufverbot dränge die Prostituierten in illegale Clubs, wo sie schutzlos seien. In 20 Jahren konnte die schwedische Polizei dies nicht bestätigen. Ausgestiegene Prostituierte gaben vielmehr an, dass das Sexkaufverbot ihre Position gegenüber den Freiern gestärkt habe.
Linke Gegner des Sexkaufverbots in Deutschland beziehen sich gerne auf wenige schwedische Kritikerinnen. Die gibt es. Alle relevanten Frauenorganisationen des Landes, die Gewerkschaften, Linke und Sozialdemokraten stehen jedoch hinter dem Sexkaufverbot. Für die Meinungsbildung unserer Partei sind ihre Erfahrungen und die wissenschaftlichen Evaluationen relevanter als Einzelstimmen.
2009 führten auch Norwegen und Island ein Sexkaufverbot ein, 2016 folgte Frankreich und 2017 Irland. In der ganzen Welt wird über eine Einführung des nordischen Modells diskutiert.
Für eine neue Prostitutionspolitik der LINKEN
In der Präambel zum Programm der LINKEN heißt es: „Wir halten an dem Menschheitstraum fest, dass eine bessere Welt möglich ist. (…) Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können.“ Die Institution der Prostitution ist mit einem so verstandenen demokratischen Sozialismus unvereinbar.
Deshalb muss DIE LINKE sich zum Ziel setzen – wie einst Marx und Engels -, mit dem Kapitalismus auch die Prostitution zu überwinden. Eine LINKE, die zur Prostitution schweigt und deren Abgeordnete sich nicht selten auf eigene Faust pro Prostitution positionieren, ist für viele, vor allem Frauen, unglaubwürdig. Wir haben eine Anzahl Genossinnen verloren, die über diese Ignoranz an der Partei verzweifelt sind. Umgekehrt hat eine LINKE, die sich für die Überwindung der Prostitution und für ein Sexkaufverbot einsetzt, gute Chancen, für viele engagierte Frauen attraktiv zu werden.
Die soziale Bewegung für ein Sexkaufverbot in Deutschland wächst. Wir wollen, dass DIE LINKE ein verlässlicher politischer Partner dieser Bewegung wird.
Es gilt, die Prostituierten zu schützen, andererseits den Prostitutionsmarkt einzuschränken und die Profitmöglichkeiten zu reduzieren. Wichtig ist, den akzeptierenden Ansatz gegenüber den betroffenen Menschen mit einer kritischen Haltung zur Prostitution an sich zu verbinden.
Forderungen der LINKEN an den Gesetzgeber müssen werden:
- Keine Kriminalisierung und Ausbeutung von Prostituierten: Keine Bußgelder, keine Zwangsmaßnahmen gegen Prostituierte. Kommunale Sexsteuern gehören abgeschafft.
- Verbot von Bordellen und Zuhälterei: Jeglicher Profit durch die Prostitution anderer ist zu kriminalisieren. Menschenhandel ist konsequent zu ahnden.
- Sexkaufverbot nach schwedischem Beispiel: Freier üben sexualisierte Gewalt aus. Dagegen sind Bußgelder und im Wiederholungsfall Gefängnisstrafen einzuführen.
- Bessere Hilfs- und Ausstiegsangebote:[3]
- Kostenlose, freiwillige Gesundheits- und Rechtsberatungen durch die Gesundheitsämter und auf Wunsch kostenlose ärztliche Untersuchungen, auch ohne Pass oder Krankenversicherung
- Bezahlbare Krankenversicherungstarife (ohne Aufschlag für die Tätigkeit in der Prostitution)
- Unterstützung beim (Wieder-)einstieg in den Arbeitsmarkt (Weiterbildungen/Nachholen eines Schulabschlusses/Ausbildungsabschlusses oder andere individuell zugeschnittene Angebote)
- Vorhalten von Schutzwohnungen und wenn nötig Öffnung der Frauenhäuser für den betroffenen Personenkreis
- Sicherstellung des Zugangs zu traumapsychologischen Angeboten und zu Sprachkursen
- Langfristige Bleibeperspektive für alle Betroffenen unabhängig von Aussagebereitschaft in Gerichtsverfahren
- Schulung öffentlich Beschäftigter: Alle,die mit Prostitution zu tun haben (z.B. Polizei, Gesundheitsamt, Finanzamt) brauchen Fortbildungen über die Lebensbedingungen der Menschen in der Prostitution, über Menschenhandel und Trauma. Kommunen brauchen geschulte SprachmittlerInnen. MitarbeiterInnen, die mit Betroffenen in Kontakt kommen, sollten über soziale Kompetenzen verfügen, um Schikanen gegen Prostituierte auszuschließen.
- Öffentliche Informationskampagnen und Aufklärung in Schulen: Es muss über Ursachen und Folgen der Prostitution aufgeklärt werden, um die Nachfrage nach Prostitution einzudämmen.
[1] Farley, Melissa et al., 2003, Prostitution and Trafficking in Nine Countries: An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorder
[2] Moran, Rachel: Was vom Menschen übrigbleibt. Die Wahrheit über Prostitution. Tectum Verlag, Marburg 2015, S. 170.
[3] Siehe dazu: DIE LINKE NRW, Kommunalpolitische Leitlinien, S.65-66