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Roman Veressov, Dana Moriße, Manuel Huff

Linke Volkspartei

7 Thesen zu einem neuen Leitbild

1. DIE LINKE in ihrer heutigen Gestalt ist eine Partei der 10 Prozent-Nische.

DIE LINKE konnte sich seit ihrer Gründung vor nunmehr zwölf Jahren als Partei links von der SPD etablieren. Dies ist zunächst einmal eine Leistung, die es anzuerkennen gilt. Doch unsere Partei hat es in all den Jahren nicht geschafft, vom massiven Stimmverlust der SPD zu profitieren. Stattdessen scheint sie, gleich welche politische Lage in Deutschland herrscht, bundesweit stets bei durchschnittlich 10% zu stagnieren. Dies ist ein solides Ergebnis, führt jedoch niemals zu einem politischen Machtwechsel innerhalb der Republik. Daher ist es dringend notwendig, sich der Frage zu stellen, welche Ziele DIE LINKE überhaupt verfolgt? Möchte sie mit 10% das Zünglein an der Waage sein, um SPD oder Grünen zur Regierung zu verhelfen, oder möchte sie selbst den Anspruch auf Macht stellen? Sollte sie sich für Letzteres entscheiden, wird sie nicht um die Entwicklung hin zu einer linken Volkspartei herumkommen.

 

2. Eine linke Volkspartei repräsentiert und adressiert die größtmögliche Gesamtheit der arbeitenden Klasse.

Hierbei ist es wichtig den Begriff  und seine Bedeutung, sowohl inhaltlich als strategisch, richtig einzuordnen. „Volkspartei“ wird häufig als eine Abweichung oder Verrat am Ideal einer „Klassenpartei“ verunglimpft. Um es vorweg zu nehmen, „Volk“ ist selbstverständlich nicht ethnisch zu verstehen. Soziologisch bedeutet es: Gesamtheit der arbeitenden Klasse, also sämtliche lohnabhängig Beschäftigten, kleine Selbstständige, Erwerbslose und RentnerInnen. Demnach also genau die Menschen, für die DIE LINKE es sich bei ihrer Gründung zum Ziel gemacht hatte Politik zu betreiben. Die Bezeichnung als Volkspartei macht daher zunächst einmal lediglich deutlich, dass es sich hierbei um eine Partei handelt, die breite Wählerschichten anspricht und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert bzw. zu repräsentieren bestrebt ist und sich nicht auf einzelne Interessen und Partikularidentitäten fokussiert. Und sollte dies nicht immer unser Ziel sein? Möglichst viele Menschen von unseren politischen und gesellschaftlichen Zielen zu überzeugen und als eine reelle und zugleich wählbare Alternative wahrgenommen zu werden? Mit der Selbstbezeichnung als Volkspartei signalisieren wir, dass wir mit unseren Forderungen die breite Masse der Bevölkerung vertreten und legitimieren uns im selben Augenblick als eben solche.

 

3. „Volk“  vs. „Eliten“ (Machthaber in Politik und Wirtschaft) wird von einer linken Volkspartei als Leitgegensatz zwischen Kapital und Arbeit artikuliert. Volkspartei = Klassenpartei.

Im allgemeinen Sprachgebrauch funktioniert der Begriff „Volk“ als gängiger Gegenbegriff zu den „Eliten“ oder den „Herrschenden“, landläufig identifiziert mit den Machthabern in Politik und Wirtschaft. In dieser Bedeutung sollte es auch von uns akzentuiert werden. Dieser Leitgegensatz, der auch für jede Form von linkem Populismus unerlässlich ist, muss in der gesamten Kommunikation so weit wie möglich dem Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital angenähert und als solcher adressiert werden. Es besteht kein Widerspruch zwischen einer Volks- und einer Klassenpartei, sondern eine enorme Schnittmenge.

 

4. Eine linke Volkspartei muss ihre Positionen stets entlang der Interessen und Wertvorstellungen der breiten Bevölkerung entwickeln.

Für unsere politische Strategie bedeutet eine solche Entwicklung deutliche Veränderungen vorzunehmen, sowohl inhaltlich, als auch in der Kommunikation nach innen und außen. Es ist zentral, jede Position daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie den materiellen Interessen und leitenden Wertvorstellungen der breiten Bevölkerung, insbesondere der arbeitenden Menschen, entspricht und ihnen vermittelbar ist. Es geht dabei nicht um völlige Angleichung, sondern die Vermeidung von missionarischem Eifer und Belehrungen, also einer Politik des erhobenen Zeigefingers, sowie von Übertreibungen bei der Zuspitzung von Konflikt- und Protesthaltungen. Bereits jetzt überschneiden sich die Forderungen der LINKEN oftmals mit den Wünschen in der Bevölkerung. Das Ende der Sparpolitik und damit verbundene Investitionen in eine soziale und öffentliche Daseinsvorsorge sind dabei nur ein Beispiel. Die Linke muss deutlich machen, dass sie Konzepte für eine andere Wirtschaftspolitik hat, die nicht nur dem kollektiven Gerechtigkeitsempfinden Rechnung tragen, sondern zugleich auch eine unmittelbare Verbesserung der Lebensverhältnisse der großen Mehrheit mit sich bringen würde. Denn aktuell fühlt sich die große Mehrheit des Volks nicht von der LINKEN angesprochen. Selbst von unseren eigenen Wählern trauen uns nur acht Prozent zu, die Probleme lösen zu können.

 

5. „Weniger ist mehr“, Professionalität und Volksnähe sind die Maßgaben für linke Kommunikation und Programmatik.

Daher darf die Linke nicht davor scheuen, Begriffe zurückzuerobern und zu prägen. Der Kampf um das Bewusstsein der Menschen muss mit einer klaren Kommunikationsstrategie und Ansprache aufgenommen werden.

Maßgeblich müssen hierbei stets der Empfänger und Sender auf Augenhöhe sein: einfache Sprache, populäre Forderungen, klare Prioritätensetzung und Fokussierung. Weniger ist mehr. In der glorreichsten Epoche der sozialistischen Arbeiterbewegung konnten sich 1913 fast 1 Million Mitglieder hinter dem Erfurter Programm von 1891 versammeln, das auf drei DIN A4-Seiten passt und sowohl eine systematische Analyse als strukturverändernde Forderungen als auch unmittelbar tagesaktuelle Sofortmaßnahmen vereint. Das über 80-seitige Erfurter Programm der LINKEN hat dagegen eher einen Patchwork-Charakter und brachte in der Hochphase gut 78.000, heute nur 62.000 Mitglieder hinter sich, in Zukunft wahrscheinlich noch weniger.

Auch unsere Medienarbeit ist noch stark entwicklungsfähig. Im Umgang mit den klassischen Medien muss ein Großteil unserer Mandats- und FunktionsträgerInnen deutlich professioneller und kreativer werden. In den sozialen Medien wiederum braucht es Masse und Breite. In den sozialen Netzwerken müssen Linke aus ihren „Blasen“ heraus- und auf breiter Front in die Debatten mit dem Mainstream und dem politischen Gegner gehen. Unsere Online-Auftritte sowie uns nahestehende Blogs und Nachrichtenseiten müssen wir besser nutzen und Synergien mit den Netzwerkaktivitäten erzeugen. Die politische Rechte erzielt mit dieser Methode große Reichweiten und beherrscht oft die Kommentarthreads. Es ist auch für LINKE/Linke unerlässlich, eine entsprechende eigene Medienstrategie zu entwickeln. Es gilt: Volksnähe auch im virtuellen Raum schaffen und Deutungshoheit erobern.

 

6. Eine linke Volkspartei organisiert sich als Massenpartei der breiten Schichten der Bevölkerung.

Auch auf organisatorischer Ebene innerhalb der Partei ist ein Kurswechsel nötig. Die Kritiker, die sich am Begriff der Volkspartei zu sehr aufreiben, müssen sich vergegenwärtigen, dass eine Volkspartei hinsichtlich ihrer Zusammensetzung im Grunde nichts anderes bedeutet als eine Massenpartei. Eine politische Organisation, die nicht nur für bereits politisch Interessierte und Vorgebildete, sondern für die breiten Schichten der Bevölkerung attraktiv ist, sie einbindet oder einbinden kann. Sie ermöglicht breite Beteiligung und Mitbestimmung und macht entsprechend niedrigschwellige, alltagskompatible und vielfältige Angebote. Alle innerparteilichen Strukturen sind so zu gestalten, dass sich insbesondere Menschen sinnvoll einbringen können, die im Berufs- und Familienleben stehen. Es muss eine Parteikultur entwickelt werden, die weg von stundenlangen Sitzungen führt und stattdessen den Aspekt der Geselligkeit betont und lebt. Für Parteitreffen muss gelten: Lieber Geselligkeit statt Gesellschaftsanalyse. Das System der Mitgliedsbeiträge muss gründlich überarbeitet und eine zeitgemäße Fassung bekommen. Kurz gesagt, es sollte eine Bereicherung für die Menschen sein, wenn sie ihre Freizeit dazu nutzen, um mit uns gemeinsam für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen. Eine Debattenkultur, die wertschätzend und fair geführt wird und somit den Begriff der Solidarität nicht zu einer leeren Floskel verkommen lässt, sollte für DIE LINKE zudem eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei ist stets das Gemeinsame zu betonen, statt wie bislang immer das Trennende in den Mittelpunkt zu rücken.

 

7. Als linke Volkspartei müssen wir das „strategische Dreieck“ Gestaltung – Protest – Transformation mit Leben erfüllen und die „Kümmerer“-Tradition mit gewerkschaftlicher Verankerung verbinden.

Eine linke Volkspartei ist weder als reine Bewegungs-, noch Protest- noch Regierungspartei erfolgreich. Die PDS hatte 2004 ein sog. „strategisches Dreieck“ formuliert: „Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinaus weisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck.“ Die PDS selbst hat dieses Leitbild niemals eingelöst. Stattdessen orientierte sie einseitig auf Regierungsbeteiligungen und hat dabei wirkungsvollen Protest und Kapitalismustransformation durch Reformen nicht nur vernachlässigt, sondern teils aktiv dagegen agiert, bspw. in Berlin während der rot-roten Koalition. Nichtsdestotrotz bleibt es ein kluges und sinnvolles Konzept, das die verschiedenen Grundfunktionen zusammen denkt, die eine linke Volkspartei zu erfüllen hat.

Auch durch eine Wiederbelebung der „Kümmerer“-Tradition, die den Faden (neu) knüpft, der uns mit dem Alltag, den Sorgen und Problemen, den Rede- und Denkweisen der normalen Menschen verbindet, ließe sich unser Volksparteicharakter stärken. Diese Rückbesinnung sollte mit einem stetigen Ausbau unserer betrieblichen und gewerkschaftlichen Verankerung verbunden werden, um uns als glaubwürdige Vertretung der Arbeitnehmerschaft zu etablieren. Alte Stärken wiederfinden und bewahren und neue entwickeln – eine linke Volkspartei muss beides können und tun.

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