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Friedrich Wolff

Beitrag zur Strategiedebatte

Es müsste eigentlich eine Zeit großer Erfolge für sozialistische Parteien sein, aber sind wir noch eine sozialistische Partei?

Liebe Genossinnen, liebe  Genossen,

gern folge ich Eurem Aufruf, Gedanken zu der Strategie der Partei zu äußern. Es ist wahr, die Partei ist in ihrer Existenz gefährdet. Das zu einer Zeit, in der der Kapitalismus – wie mir scheint – in eine tiefe Krise geraten ist. Es müsste eigentlich eine Zeit großer Erfolge für sozialistische Parteien sein, aber sind wir noch eine sozialistische Partei?

Nach unserem Programm sind wir das, unserer Tagespolitik merkt man es jedoch nicht an. Das ist unser Problem. Der Wähler erkennt unseren sozialistischen Charakter nicht mehr. Wir haben ihn versteckt. Das führt auf die Dauer zu unserem Untergang.

Wollen wir Sozialismus? Ist Sozialismus überhaupt wünschenswert, ist er machbar? Wie ist die Lage?

Viele Menschen sind unzufrieden, sind mit dem herrschenden System unzufrieden. Systemkritische Parteien, wie AfD, systemkritische Bewegungen wie Frydays for Future, wie Attac haben großen Zulauf, alte „Volksparteien“ wie CDU und SPD verlieren Mitglieder und Wähler, wie Die Linke.

Ist Sozialismus noch machbar? Gewiss, die sozialistische DDR, die Sozialisten Europas haben eine Niederlage erlitten. Das bedeutet aber nicht, dass der Sozialismus besiegt ist. Wir haben Fehler gemacht, grundsätzliche, wir waren Dogmatiker. Der Sozialismus des 19. Jahrhunderts, der Sozialismus von Marx, muss im 21. Jahrhundert weiter entwickelt werden. Das hat Marx zu seiner Zeit immer selbst gemacht. Die Arbeiterklasse ist z.B. nicht mehr das Proletariat des 19. Und 20. Jahrhunderts. Wer sie als Proletariat anspricht, wird nicht verstanden, nicht gehört.

Wenn wir Sozialisten sind, dürfen wir auch die Verleumdung der DDR nicht hinnehmen. Die DDR war der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden. In der DDR konnten Arbeiter und Angestellte von ihrem Verdienst leben, gab es keine Obdachlosen, keine Arbeitslosen, gab es ein gutes, unentgeltliches Bildungssystem. Die DDR führte keinen Krieg.   

Es gab jedoch den Kalten Krieg. Die DDR war ein Kind des Kalten Krieges. Sie kämpfte in ihm, und sie war sein Opfer. Er formte das Antlitz der DDR, schuf die „Mauer“. Die Schüsse an der Grenze waren die Antwort auf die Politik der BRD und ihrer Verbündeten, die DDR durch die Abwanderung vieler ihrer Bürger auf die Knie zu zwingen.

Die Kommunistischen und Sozialdemokratischen Parteien Europas haben denselben Fehler gemacht wie die DDR. Sie waren auch Dogmatiker, haben auch den Anschluss an das Leben verloren.

Alle zusammen haben wir schließlich unter den Untaten Stalins gelitten. Sie haben uns die moralische Glaubwürdigkeit genommen.

Ist also unsere Lage aussichtslos?

Der Kapitalismus hat seit dem Untergang der sozialistischen Staaten und Parteien Europas sein wahres Gesicht, den Neoliberalismus, gezeigt. Kein großes Bauprojekt wird, wie geplant, zeitlich und kostenmäßig fertig, Straßen, Brücken, Schulen. Schwimmbäder verfallen, große Konzerne wie Mercedes, Audi und VW betrügen ihre Kunden, ohne bestraft zu werden,  der öffentlich Personennahverkehr wie der Fernverkehr sind unzuverlässig, das Gesundheitswesen ist überlastet und falsch organisiert, wichtige Medikamente fehlen zeitweise, es herrscht Pflegenotstand, Obdachlose schlafen auf den Straßen. Kurz, der Kapitalismus ist nicht mehr das, was er einmal war. Jetzt ist er dabei, die Erde unbewohnbar zu machen.

Viele Menschen fordern einen Systemwandel. Immer mehr sehen im Kapitalismus die Wurzel unseres ganzen Elends und halten Sozialismus für wünschenswert. Einige Beispiele mögen das belegen:

“Auf der Tagesordnung steht heute als der entscheidende Punkt die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung und die Überführung der Produktionsmittel aus der Hand der großen Besitzenden in gesellschaftliches Eigentum, die Lenkung der gesamten Wirtschaft nicht nach privaten Profitinteressen, sondern nach Grundsätzen volkswirtschaftlich notwendiger Planung.“ (Miller/Potthoff, Kleine Geschichte der SPD, 7. Aufl. 1991, Bonn, S. 379)
 

„Die kapitalismusfeindliche Stimmung hat stark von Ost nach West abgefärbt.“
„Unsere Gesellschaft steht dicht vor einer Rückkehr zum sozialistischen Verständnis von Freiheit: Freiheit, wie sie der Staat gewährt, Freiheit von Arbeitslosigkeit, von Armut im Alter, von Krankheitsfolgen‘ stellt Noelle-Neuman ein wenig übertreibend fest.“ Richter mach Elisabeth Noelle-Neumann in Daten ihres Allensbacher Instituts 1997

„Die Demokratie ist nicht mehr demokratisch.“ Klein, Dieter/ Dellmann, Judith: „Ein Hauch von zweiter Wende Ost? ND 7./8.2. 98

(Im Osten:) „Überzeugungen, Werte, Ziele der DDR-Zeit sind gespenstisch konserviert.“ (FAZ vom 10.12.97) Und im Westen: „Die Kluft zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen ist dabei, sich zu schließen durch Anpassung der Westdeutschen an die Empfindungswelt der Ostdeutschen“ „FAZ vom 25.2.98)

„Das Fazit ist ziemlich niederschmetternd: Die Demokratie ist in Deutschland kaum mehr als ein schöner Schein.“
- Schon seit längerem zeichnet sich ab, das unser politisches System die Herausforderungen nicht mehr bewältigt.“ [1]
- „Schuld ist das System“[2]
Hans Herbert von Arnim: Wer kümmert sich um das Gemeinwohl,  Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, S. 223ff

 „Wir wissen, dass der Kapitalismus in der Krise steckt, dass er überwunden werden muss. Aber keiner weiß, wie lange diese Krise dauern wird. Das Römische Reich hat 300 Jahre gebraucht , bis es unterging.“
Niemeyer, Oscar, Der Spiegel Nr. 11 v. 11.3.02
Frage: “Woher sollen die Impulse für den neuen Sozialismus kommen?“ Antwort: „Aus der Ablehnung des derzeitigen Banditenkapitalismus, der keine Alternative für die Zukunft der Menschheit ist.“ Schaff, Adam, ND-Interview von Gerd Kaiser, ND 17./18.8.02, S. 10

„Mit dem Funktionieren der Demokratie sind 60 Prozent der West-Bürger zufrieden. Im Osten sind es lediglich 32 Prozent. 76 Prozent der Ostdeutschen halten den Sozialismus für eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde. Im Westen ist jeder zweite dieser Meinung.“
ND (dpa) 30.8.02über die Vorstellung des Datenreport 2002 durch die Bundeszentrale für politische Bildung

 

 „Was wir aber seit Jahren erleben, ist eine schleichende Entdemokratisierung.“
Dahn, Daniela, Rede zur Verleihung des Ludwig-Börne-Preises, Freitag 11.6.2004,


„Dass sich allmählich eine Art Kaste abzeichnet, in der Armut erblich ist, verweist auf die beängstigende aktuelle Regression“ (S. 27)
„Es handelt sich um eine Plutokratie, die unter den Bedingungen des gegenwärtigen <patrimonialen Kapitalismus> wohl die Macht des Reichtum sanktioniert, genauer aber die des erblichen Reichtums der keinerlei Bezug zu individuellen Verdiensten hat (Piketty 2013)“
. Domenico Losurdo, Wenn die Linke fehlt, 2014 S.37:

Die gegenwärtige politische Struktur in Deutschland verhindert eine Wende zum Besseren. Die Politiker, insbesondere die gut verdienenden Parlamentarier, bilden jetzt eine eigene Klasse. Der Soziologe Max Weber (1864-1920) hat bereits festgestellt; „Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder:  man lebt ‚für‘ die Politik oder man lebt ‚von‘ der Politik.“  Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnimhat dies für die Gegenwart besonders erforscht. Von ihm stammen folgende Zitate:
„Zu den wirklichen Tabus unserer demokratischen Gesellschaft gehört, wie gut man von der Politik leben kann.“ Michael von Greven zitiert bei v. Arnim S. 80
„Soziologische Untersuchungen des Bundestages haben zutage gefördert, daß der Einzug in das Parlament für fast alle Abgeordneten einen beachtlichen finanziellen und sozialen Aufstieg bedeutet.“ (80)
Blickt man auf die spezifischen systembedingten Gegebenheiten, in die der Abgeordnete eingespannt ist, dürfte die Wahrscheinlichkeit gemeinwohlorientierter Motivation eher gering sein“ (150)
„Solange die Bezahlung gering war, konnte man davon ausgehen, daß Postenjäger nicht angelockt würden, weil es eher ein Opfer darstellte, sich für ein Leben von der Politik zu entscheiden. Je üppiger aber die Positionen ausgestaltet werden, je höher die Bezahlung, je überzogener die Versorgung, je ausgeprägter die Privilegien und je sicherer und abgeschotteter die Pfründen gegen Konkurrenz und Abwahl sind, desto weniger kann ausgeschlossen werden, daß sie von vielen nur wegen des Geldes, des Ansehens und des sonstigen Status des Mandatsträgers angestrebt werden.“ (159)

„Die politische Klasse baut nicht mehr auf der Basis auf, lebt von ihr weder ideell noch finanziell und wird von ihr auch nicht kontrolliert. Vielmehr kontrolliert die politische Klasse umgekehrt zunehmend die Basis“. (202) (Die angegebenen Seitenzahlen beziehe sich auf v. Arnim,  Hans Herbert von: Fetter Bauch regiert nicht gern, München 199)

Zu den politischen Unmöglichkeiten gehört der Föderalismus. In Zeiten der Globalisierung hat z.B. Berlin ein anderes Schulrecht als das umgebende Brandenburg, Bayern möchte am liebsten eine eigene Außenpolitik betreiben. 16 Länder unterhalten ebenso viele Ministerpräsidenten, zahlreiche Minister und sehr viele gut bezahlte Abgeordnete, die alle entschlossen die Souveränität ihres Landes verteidigen. Das kostet nicht nur viel Geld, das verzögert, verhindert und verfälscht politische Entscheidungen.

Die neue Zeit verlangt unerbittlich, dass wir den Kapitalismus überwinden. Wenn wir dazu nicht bereit sind. werden wir mit ihm untergehen. Unsere Strategie muss also heißen: Nieder mit dem Kapitalismus!

Ich bin überzeugt, wenn Die Linke kein klares antikapitalistisches, sozialistisches Profil zurückgewinnt, wird sie untergehen.

Mit sozialistischem Gruß

Dr. Wolff


 

 

 


[1] a.a.O., S. 226

[2] a.a.O., S. 226

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