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Thomas Goes, Katharina Dahme und Mizgin Ciftci

Die Krise als Chance

Oder: Wie wir als sozialistische Bewegungspartei die extreme Rechte und die Neoliberalen schlagen können.

Wir leben in einer Phase der Destabilisierung und politischen Polarisierung – es gibt aber keinen einfachen Rechtsruck. Dem reaktionären Rand stehen Milieus der arbeitenden Klassen gegenüber, denen Solidarität und soziale Gerechtigkeit wichtig sind, die eine weitere Demokratisierung wollen, sich eine weltoffene Gesellschaft wünschen und um unser ökologisches Überleben sorgen.

Angehörige dieser Milieus wählen nicht automatisch DIE LINKE und werden auch nicht schnell politisch aktiv oder organisieren sich bei uns. Trotzdem sind sie die natürliche Homebase einer modernen sozialistischen Partei. Die politische Destabilisierung und Polarisierung bieten uns auch Möglichkeiten, aus diesen Milieus heraus eine starke Bewegung aufzubauen: Ein Unten-Mitte-Bündnis, das für drängende soziale und ökologische Reformen kämpft und den Weg zu einer sozialistischen Demokratie ebnet.

Die Niederlagen bei der Europawahl, in Sachsen und Brandenburg, die dramatischen Mitgliederverluste in den ostdeutschen Ländern und die Dauerklage, die LINKE habe den Kontakt zu den „einfachen Leuten“ verloren, machen das leichtfertig vergessen.

Wir sollten die Situation auch als Chance sehen und gemeinsam darum ringen, wie sie genutzt werden kann. Ein solides soziales Profil unserer Partei, moderate Mitgliedergewinne in den westlichen Ländern und den größeren Städten im Osten, mehr jüngere Mitglieder, gute erste Ansätze der Kampagnen- und Streiksolidaritätsarbeit und nicht zuletzt der Einflussgewinn bei neuen lohnabhängigen Schichten bieten dafür eine gute Ausgangsbasis. Natürlich reicht das bisher noch nicht und auch im Westen stagniert der Parteiaufbau zum Teil. Wollen wir die Herausforderungen meistern, müssen wir unsere Partei verändern und an einer grundlegenden „Kulturrevolution" in der LINKEN arbeiten.

Es ist nicht ruhig im Lande und die Unruhe kommt mitnichten nur von rechts. Erinnern wir uns an Mieteninis und verschiedene wichtige Streiks, an die Willkommensbewegung für Geflüchtete, an breite antifaschistische Mobilisierungen, an die Klimabewegung und verschiedene lokale Initiativen, die sich für eine ökologische Verkehrswende einsetzen.

Bei allen wichtigen Warnungen vor Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: In der Bevölkerung gibt es neben autoritären und rassistischen Verarbeitungsweisen der Neoliberalisierung auch kapitalismuskritische und sozialpopulistische, die Brücken nach links darstellen.

Aber nur dann, wenn wir aus den fortschrittlichen Teilen der arbeitenden Klassen ein starkes Rückgrat unserer Bewegung aufbauen, können wir um diese schwankenden Teile  kämpfen. Dazu dürfen wir uns weder als eine Art Anhängsel der SPD begreifen, das diese wieder auf den (angeblichen) Pfad der Tugend zurückführen soll, noch als Nischenpartei.

 

Wir kämpfen um Hegemonieim mitte-linken Lager!

Lange wurde als Ziel der LINKEN die Re-Sozialdemokratisierung der SPD ausgegeben. Im besten Fall sollte eine sozialere SPD die gemeinsame Durchsetzung einer fortschrittlichen Politik ermöglichen. Doch lässt sich bei Wahlen häufig beobachten, dass DIE LINKE geschwächt wird, wenn Grüne und SPD zulegen. Auch in sozialen Bewegungen und in der Gewerkschaftsbewegung ringen wir um Einfluss, möglicherweise Seite an Seite mit Sozialdemokraten und Grünen, aber immer im Wettbewerb.

Die Vorstellung eines Bündnisses nach dem Boygroup-Prinzip (für jeden Geschmack ein „Sänger“ mit eigenem Image) geht somit nicht auf, eher besteht ein Konkurrenzverhältnis darum, wer innerhalb des gesellschaftlichen Mitte-Links-Lagers führend wird.

DIE LINKE wird nur stärker, wenn sie mehr als eine Friedens- und Sozialstaatspartei ist, auch wenn Sozialstaatsreformen ebenso wichtig sind wie eine klare antimilitaristische Linie. Wollen wir zur führenden politischen Kraft werden, also wirklich um Hegemonie kämpfen, müssen wir eine verbindende Klassenpolitik weiterentwickeln und leben.

Wir müssen uns den sozialen Interessen verschiedener lohnabhängiger Schichten zuwenden (wozu selbstverständlich Prekäre und Erwerbslose gehören) und versuchen Themen zu besetzen, die vom Gros der Bevölkerung noch immer stark mit den Grünen in Verbindung gebracht werden: Antifaschismus, Umwelt und Demokratie.

Politik ist kein Ringen um Marktanteile, bei dem auf angebliche „Markenkerne“ zu setzen ist, sondern ausgehend von Problemen und Konflikten ein Ringen um Köpfe und Herzen. Eine linke Partei, die um Unterstützung wirbt und nützlich sein will, muss ein alternatives Gesellschaftsprojekt entwerfen, die Vision für einen Sozialismus unserer Zeit, und zu allen zentralen Fragen sprechen, die den Menschen unter den Nägeln brennen: verbinden, nicht spalten und sich so isolieren.

 

Sackgassen künftig vermeiden

Die mutmachende Unruhe im Land bietet uns Chancen dazu, die wir nicht verspielen dürfen. In die Sackgasse führen aus unserer Sicht das ständige Beschwören einer Mitte-Links-Regierung ebenso wie die Losung, wir sollten durch eine stärkere Betonung sozialer Themen zu einer neuen sozialdemokratischen Partei werden, auch als „linke Volkspartei“ bezeichnet.

Eine starke Partei werden wir nicht, indem wir betonen, unser soziales Profil verloren zu haben, zumal soziale Themen im Mittelpunkt jedes unserer Wahlkämpfe standen. Unsere Kompetenzwerte bei sozialer Gerechtigkeit sind nach wie vor hoch, nur waren zuletzt andere Fragen wahlentscheidend, zu denen wir keine oder widersprüchliche Antworten gegeben haben. Immer mehr vom bereits Bekannten bringt uns nicht in die Offensive.

Ebenso wenig hilft es, den möglicherweise geringen Nutzen der LINKEN für Wähler*innen mit einer (vermeintlichen) Machtperspektive zu beantworten, die über das Regieren mit SPD und Grünen erreicht werden soll. Gemeinsamer außerparlamentarischer Druck von LINKEN, SPD und Grünen für Reformen wären erste Grundvoraussetzungen für eine Zusammenarbeit und sollten wir jederzeit anstreben. Ein progressives linkes Regierungsbündnis ist derzeit aber unrealistisch. Ein soziales und ökologisches Notfallprogramm, das wir dringend brauchen, lässt sich nicht ohne tiefergehende Reformen einführen, die die Macht der Banken und Konzerne massiv einschränken und zu brechen beginnen. Schon der Mietendeckel in Berlin lässt erahnen, welche Gegenkräfte dann mobilisiert würden.

Es stimmt: Eine angemessene sozialistischen Strategie benötigt die Ausarbeitung und verständliche Vermittlung einer eigenen Machtoption. Diese muss realistisch und deshalb radikal sein. In ihrem Mittelpunkt muss stehen, wie wir die Macht der herrschenden Klasse nehmen und die der arbeitenden Klassen ausbauen können. Dazu gehört ein „antikapitalistisches Staatsprojekt“ und der Wille zur Übernahme der Regierungsmacht - aber als Teil eines demokratischen Wegs der Brüche in eine sozialistische Übergangsgesellschaft. Ohne Organisierungsprojekte und starke Bewegungen kann dieser Weg nicht einmal begonnen werden, sie zu fördern und aufzubauen ist daher besonders wichtig.

Statt abstrakter Debatten über R2G sollten wir gemeinsam mit Aktiven aus Bewegungen, z.B. Gewerkschaften und Klimabewegung, ein Übergangsprogramm entwickeln, das in verständliche und eingängige Kampagnen übersetzt werden kann. Sie müssen deutlich machen, dass eine linke Regierung nur eine in Frontstellung sein kann, getragen von der politischen Selbsttätigkeit der Menschen und getrieben von starken Bewegungen. Unsere Projekte für eine linke Regierung müssen den Einstieg in den Ausstieg aus dem Kapitalismus ermöglichen. 

 

Eine moderne sozialistische Bewegungspartei werden

Wir müssen uns grundsätzlich verändern, um Rechte und Neoliberale schlagen zu können. DIE LINKE muss eine moderne sozialistische Bewegungspartei werden, die eine breitere Bewegung aufbaut, die ein soziales und ökologisches Programm durchsetzen kann: weniger Parlamentsfixierung und „Raumschiff Berlin“, weniger Stellvertreterpolitik und Setzen auf prominente Köpfe, weniger Politik als Marketing begreifen („die richtigen Themen ansprechen“).

Dafür mehr Zeit, Energie und Geld für konkrete Organisierungsprojekte (z.B. lokale Initiativen zum kostenlosen Nahverkehr oder zur Einführung von 365-Euro-Jahrestickets als Zwischenstufe), Anregungen zur Belebung der Kreisverbandsarbeit, Experimente mit der Zusammenarbeit von Partei und Initiativen/Bewegungen und Kampagnen, die den Gegensatz zwischen Oben und Unten in den Vordergrund stellen, und auch diejenigen Menschen erreichen, denen soziale Bewegungen fremd sind und Politik nicht nahe liegt. Die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ ist ein gelungenes Beispiel hierfür.

Fortschritt entsteht aus Reibungen und Widerspruch, durch gesellschaftlichen Streit und durch die Fähigkeit, Bündnisse für klare politische Alternativen zu schmieden. Unser Ausgangspunkt müssen darum die Problemrohstoffe sein, die ohne unser Zutun entstehen (z.B. die Wohnungsnot oder Altersarmut), und die wirklichen Auseinandersetzungen, an denen wir teilnehmen müssen: ob nun Streikbewegungen und Initiativen für kostenlosen Nahverkehr oder Fridays for Future.

Problemrohstoffe finden wir in Form verschiedener sozialer Fragen, die sich jeweils für unterschiedliche Teile der Lohnabhängigen anders stellen (Burnout und entgrenzte Arbeit für höher qualifizierte Facharbeitskräfte, Lohnarmut für prekäre Niedriglohnbeschäftigte); das sind aber auch die Sorge um unsere ökologischen Lebensgrundlagen, eine offene und tolerante Gesellschaft, um Demokratie und die Angst vor Rechts.

Als Partei müssen wir diese Probleme aufgreifen, mit denen, die sich engagieren wollen zusammenarbeiten, und die einzelnen Kämpfe verbinden. Dazu müssen wir raus ins Handgemenge, selbst organisieren und aktiv sein und durch die „Arbeit der Zuspitzung“ auch klare politische Alternativen in den Raum stellen, für die wir mobilisieren.

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