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Lisa Neher und Brigitta Meyer, Landesfrauenbeauftragte DIE LINKE Baden-Württemberg

Entschieden feministisch!

Strukturen, die Frauen gezielt ansprechen und fördern, sind eine Grundvoraussetzung um den Frauenanteil in der Partei zu erhöhen.

Wo wir stehen – Wo wir hin wollen:

Die aktuelle gesellschaftliche Situation ist durch eine zunehmende Polarisierung, aber auch Politisierung gekennzeichnet. Die LINKE muss in dieser Situation klare Positionen für eine friedliche, solidarische und soziale Politik vertreten. Dabei sollte außer Frage stehen, dass für eine linke Partei im 21. Jahrhundert soziale Gerechtigkeit nur antirassistisch, ökologisch und feministisch gedacht werden kann. Einen demokratischen Sozialismus ohne Feminismus als integralen Bestandteil kann es nicht geben.

 

Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft betrifft – und das wird leider häufig ausgeklammert – ganz vehement Rechte, Freiheiten und das Leben von Frauen. Die neue und alte Rechte, religiöser Fundamentalismus aller Religionsgemeinschaften, aber auch der Konformismus neuer digitaler Medien fördern ein rückständiges Frauenbild, das die Frau wieder hinter den Herd verbannen will, ihre körperliche Selbstbestimmung in Frage stellt und ihre gesellschaftliche Gleichstellung angreift.

 

Viele Frauen kämpfen gegen diesen gesellschaftlichen Roll-back. Feministische und Frauen* Bündnisse, Frauen*Streik Komitees und 8. März Bündnisse haben in den letzten Jahren überall in der Bundesrepublik einen großen Zulauf erhalten. Im September 2019 kam es auf dem Feminist Futures Festival in Essen zu einer bundesweiten Vernetzung von über 1.500 Feminist*innen. Feministische Bewegungen sind auch weltweit die größten sozialen Bewegungen. Polen (Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes 2016), Spanien (Generalstreik mit 5 Millionen Streikenden 2018) und die Schweiz (Massenproteste und -streiks im Juni 2019) sind nur drei Beispiele (die durch Argentinien, USA, Chile usw. ergänzt werden könnten) bei denen feministische Proteste die größten Massenproteste der jüngsten Geschichte dieser Länder waren. Sie kämpfen nicht nur einen Abwehrkampf gegen das Erstarken rechter und autoritärer Regierungen und Bewegungen, sondern sie kämpfen für eine solidarische Gesellschaft, jenseits alltäglicher Gewalt und neoliberalem Konkurrenzdenken.

 

Es reicht nicht aus, sich als die LINKE in diese Bündnisse einzubringen – obwohl das natürlich ein erster wichtiger Schritt ist! Vielmehr muss die LINKE eine Vision davon entwickeln, wie eine geschlechtergerechte, solidarische Gesellschaft aussehen kann, in der die Verantwortung für Haus- und Sorgearbeit, Erziehung und Pflege in der Gesellschaft liegt und nicht zu Lasten der Frauen verteilt ist. Wir müssen für einen linken Feminismus stehen, der Teil einer verbindenden Klassenpolitik ist. Geschlechtergerechtigkeit geht uns alle an und trifft in das Herz sozialer Gerechtigkeit. Ein so verstandener Feminismus ist keine exklusive Identitätspolitik, sondern Kritik an einer kapitalistischen Ökonomie, die auf unbezahlte oder unterbezahlte Pflege-, Sorge- und Hausarbeit angewiesen ist und damit zu lasten derjenigen geht, die diese Arbeit leisten – und das sind auch 2020 in der Hauptsache Frauen.

 

Der Kapitalismus ist in einer Sorgekrise

Haus-, Pflege- und Sorgearbeit wird in der Regel unentlohnt von Frauen geleistet, von Müttern und Ehefrauen, von Töchtern und Schwestern für die Pflege ihrer Eltern und Geschwister oder sie wird in prekären bis illegalen Beschäftigungsverhältnissen als sogenannte haushaltsnahe Dienstleistung und in häuslicher 24-Stunden-Pflege häufig von migrantischen und ausländischen Frauen geleistet.

Die gesellschaftliche Festlegung von Frauen auf die Sphäre der Haus- und Sorgearbeit führt zu einer Entwertung ihrer geleisteten Lohnarbeit. Durchschnittlich verdienen Frauen 21% weniger als Männer bei vergleichbarer Arbeit. Durch das geringere Einkommen, erzwungene Teilzeit und Erziehungs- und Pflegezeiten geraten Frauen in Altersarmut, die auch durch die von der Regierung geplante Grundrente nicht hinreichend verhindert wird.

Der Kapitalismus ist mit dem Wandel der Arbeitswelt und der Ablösung des Einverdienermodells in eine Sorgekrise geraten, die auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird. Es ist dringend notwendig, dass die LINKE Kämpfe für kostenfreie KiTas, für bessere Arbeitsbedingungen in der Erziehung und in der Pflege aktiv als feministische Kämpfe versteht, in denen es um einen Kampf um öffentliche Güter geht. Die feministische Losung „das Private ist politisch“, muss für die LINKE eine Aufforderung sein, die Privatisierung der Reproduktion des Lebens nicht zu akzeptieren und gesellschaftliche Lösungen für die Sorgekrise einzufordern. Kämpfe um bezahlte wie unbezahlte Sorgearbeit haben dabei eine integrative Kraft, weil sie uns alle angehen – Männer wie Frauen, jung wie alt, Menschen in der Großstadt, wie auf dem Land – , aber sie müssen als feministische Kämpfe geführt werden, weil die Verteilung von Sorgearbeit noch immer zu Lasten der Lebenschancen von Frauen geht. Die LINKE muss dabei eine Debatte anstoßen und führen, wie eine Vergesellschaftung von Sorgearbeit aussehen kann, die nicht entlang der Geschlechter verläuft, die zu einer Umverteilung von oben nach unten führt und es ermöglicht, dass jede*r Einzelne ihre Fähigkeiten frei entfalten kann und die Möglichkeit hat ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

 

Der Protest ist weiblich

Die großen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen in den letzten Jahre und auch die großen Proteste wie Fridays for Future werden immer weiblicher. Frauen verschaffen sich nicht nur in feministischen Themen, wie in der Auseinandersetzung um die §§ 218 und 219 Gehör, sondern kämpfen auch für bessere Arbeitsbedingungen, gegen das Sterben im Mittelmeer und für eine gerechte und effektive Klimapolitik.

Frauen und ihre Rechte werden immer mehr zum Angriffsziel der neuen Rechten. Frauen werden von rechten Narrativen weniger angesprochen, während ein Großteil der AfD Wähler (auch junge) Männer sind. Der Kampf gegen Rechts kann daher nur als ein feministischer Kampf erfolgreich geführt werden. Wenn sich die LINKE als Bewegungspartei versteht, dann muss sie diese Frauen direkt ansprechen und zeigen: Eine gerechtere, solidarische Gesellschaft gibt es nur, wenn Frauen diese aktiv mitgestalten – das gilt in den sozialen Bewegungen genauso wie in den Parlamenten.

 

Für eine linke, feministische Partei

Die LINKE ist ihrem Selbstverständnis nach eine feministische Partei. Dieses Selbstverständnis muss sie aber auch offensiv nach Außen vertreten und im Inneren leben. Wir können uns mit einem Frauenanteil von 36% nicht zufrieden geben, denn so ist Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Partei nicht realisierbar. Stattdessen müssen wir uns offensiv feministisch positionieren, ohne dabei den falschen Gegensatz von Identitätspolitik und Klassenpolitik zu bedienen.

Wir müssen Frauen in der Partei auf allen Ebenen stärken, aber wir müssen auch neue Frauen gewinnen, denn nur so kann eine Geschlechterparität wirklich gelebt werden, ohne dass diese zu einer Belastung einzelner Frauen wird. Wir haben unser Potential bei Mitgliederinnen und Wählerinnen noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn wir als Partei wachsen wollen, dann brauchen wir die aktiven Frauen, die für eine solidarische Welt kämpfen und die werden wir nur gewinnen, wenn wir als Partei endlich verstehen, dass die soziale Frage ein ganz klar weibliches Gesicht trägt.

 

Feministische Parteistrukturen

 

Strukturen, die Frauen gezielt ansprechen und fördern, sind eine Grundvoraussetzung um den Frauenanteil in der Partei zu erhöhen. Echte Geschlechterdemokratie ist erst mit einem höheren Frauenanteil möglich:

 

  • Für ein Frauen Mentoring Programm auf Landesebene: Ähnlich wie das Mentoring Programm auf Bundesebene sollte es für alle Landesverbände auf Landesebene Frauen in der Parteiarbeit gezielt fördern und stärken.
  • Wir sind als gesamte Partei dafür verantwortlich, die Räume, Treffen und Sitzungen so zu gestalten, dass Frauen sich wohl fühlen, ihre Anliegen vortragen können und sich aktiv in die Parteiarbeit einfügen können. Dafür braucht es Sitzungs- und Redeleitungen, die sensibel für diskriminierendes Verhalten sind. Es sollte daher für alle Kreis- und Ortsvorstände verpflichtende Seminare zu Sitzungsleitung, Gesprächsführung und Antidiskriminierung geben.
  • Alle Bildungsangebote bis in die Ortsverbände der Partei müssen einen feministischen Anspruch aufweisen. Das sollte sich insbesondere in der Auswahl von Referent*innen widerspiegeln.
  • Es braucht eine Debatte zu einer eigenständigen, bundesweiten Frauenstruktur der Partei, die der Gliederung der Partei zugeordnet ist.
  • Es braucht bezahlte Stellen für Landesfrauenbeauftragte in allen Bundesländern, die zur Einhaltung der in der Bundessatzung festgeschriebenen Geschlechterdemokratie beitragen, eine Anlaufstelle bei sexistischen Vorfällen darstellen und die Landesverbände zu frauenpolitischen Themen beratend begleitet.
  • Wir dürfen unsere Augen nicht vor Missständen in der Partei verschließen, sondern wir müssen Strukturen schaffen, die es uns ermöglichen, diese klar zu benennen und effektiv dagegen vorzugehen. Der feministische Anspruch der Partei ist leider noch keine gelebte Wirklichkeit.

 

Feministische politische Inhalte

 

  • Gesellschaftliche Diskriminierung spiegelt sich in Sprache. Auch wenn der Spiegel nicht die Ursache für die Diskriminierung ist, gehört gendergerechte Sprache zum Kampf gegen Sexismus und Geschlechterungleichheit. Gendergerechte Sprache und ein barrierefreier Zugang zu den Inhalten der Partei dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
  • (Re)Kommunalisierung der Reproduktion des Lebens: Von der Kita bis zur Altenpflege. Der deutsche Wohlfahrtsstaat basiert stark auf einem konservativ-familialistischen Modell, das durch die freie Wohlfahrtspflege und kirchliche Träger geprägt ist. Die LINKE muss Visionen für einen Sozialstaat entwickeln, der von diesem familialistischen Modell wegkommt.
  • Wir brauchen einen feministischen green new deal: Die Abwertung von Pflege- und Sorgearbeit (der Grundlage unser aller Leben!), die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich und die ökologische Zerstörung sind die Folgen einer Politik, die Kapitalinteressen und nicht den Bedürfnissen der Menschen dient. Die Aufgabe der LINKEN muss es sein, diesen Zusammenhang aufzuzeigen und Wege einer an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Politik zu beschreiten. Das geht nur im Kontakt zu den sozialen Bewegungen, die für ihre eigenen Interessen, Wünsche und Bedürfnisse eintreten – das geht nur entschieden feministisch!
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