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Tanju Tügel

Lasst hundert Blumen blühen!* oder: Worüber redest du, Väterchen?**

Die bisher veröffentlichten Beiträge zur Strategiedebatte enthalten eine sehr breite Palette von Kritiken, Vorschläge, Visionen, Überlegungen und verdeutlichen was für ein großes Potential unsere Partei an kreativen, interessierten, erfahrenen und neuen Genoss*innen vereint.

Es ist gut und richtig, dass eine so breite Diskussion, ohne Grenzen, öffentlich geführt wird. Nur bleibt für mich die Frage, worin diese Debatte münden soll. Um das bestimmen zu können, müssen wir uns erst darüber verständigen, was wir unter der Kategorie "Strategie" verstehen.

Momentan erinnert mich das Verständnis von der Strategie in den Beiträgen an die Erzählungen "von den blinden Männern und dem Elefanten". Wie die Realität sehr unterschiedlich verstanden werden kann, je nachdem, welche Perspektive man hat oder wählt. Scheint das Verständnis von der Kategorie "Strategie" sehr unterschiedlich zu sein.

Was ist mit der Kategorie "Strategie" gemeint? Nicht jedes politische Ziel oder Vorhaben, so richtig und wichtig es auch sein mag, ist strategisch bzw. muss als wesentlicher Bestandteil unserer Strategie verstanden werden.

In Lexika bzw. Wörterbüchern wird Strategie kurz als "Kunst der Kriegsführung" bezeichnet. In meinem alten Lehrbuch, noch aus meinem Studium, finde ich eine andere Definition: "Die Strategie ist die Grundrichtung des Kampfes der Arbeiterklasse in jeder großen historischen Etappe. Sie ändert sich mit dem Übergang von einer historischen Etappe des Kampfes des Proletariats zur anderen … Innerhalb jeder dieser Etappen bleibt die Strategie mehr oder minder unveränderlich." (Wissenschaftlicher Kommunismus, Dietz Verlag, Berlin (DDR) 1973, S. 205)

Wenn es auch aus der Mode gekommen ist, möchte ich mit Bezug auf den (für mich) Meister der Strategie und Taktik, Lenin, versuchen zu erläutern, wie ich mir eine zielorientierte Diskussion vorstelle. In seinen vier großen Klassikern - "Was tun?", "Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück", "Zwei Taktiken der Sozialdemokratie ..." und "Aprilthesen" legt Lenin detailliert und umfangreich seine Ansichten in Auseinandersetzung mit anderen Personen/ Gruppen dar und begründet die einzelnen notwendigen Schritte. ABER in den vier Werken geht es um EIN strategisches Ziel: die Machtergreifung mit einer Partei neuen Typus’. Dabei beweist er auch seine große Flexibilität bei der Taktik in den Aprilthesen. Aus der Sicht der heutigen "Realos" wäre er als "unrealistischer Träumer, Betonkopf" und von "Fundamentalkritikern" als "bürgerlicher Abweichler" beschimpft worden.

Ganz kurz formuliert, ist das strategische Ziel einer linken Partei, eine friedliche, solidarische Welt zu schaffen, auf der alle Menschen überall gute Lebensbedingungen haben.

Desweiteren ist es unerlässlich, dass wir in den Diskussionen einigermaßen mehrheitlich ein gemeinsames Verständnis von den Kategorien haben, die oft bzw. hervorgehoben angewandt werden. Das möchte ich mit einem Beispiel verdeutlichen. Immer mal wird der Wunsch nach einer Entwicklung zu einer "linken Volkspartei" geäußert. Klingt gut, aber ist für mich völlig unbrauchbar. Ich bin mir sicher, dass auch wir die unendliche und ergebnislose Diskussion aus den 70er Jahren, was ein Volk ist vor allem wer Bestandteil des Volkes ist, nicht zu Ende führen werden. Damals mündeten diese Diskussionen zwischen den Kommunist*innen und Maoist*innen oft, in "körperbetonte" Auseinandersetzungen. Gebracht haben sie aber nichts! Wer gehört zum Volk? Die Werktätigen aus der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion? Kleinbauern? Werktätige im Handel? Was ist mit den "Weißkitteln" aus dem Versorgungs- und Forschungsbereich? Gehört die Postzustellerin noch zum Volk, wenn sie verbeamtet wird? Kann man so was nach Einkommen bestimmen? Oder in welcher Position innerhalb der Produktion ist das Volk? Gehören die Schreihälse dazu, weil sie der Meinung sind, sie seien DAS Volk? Bei der Formulierung der Strategie in der Politik führt die Anwendung von nicht bzw. nicht klar definierten Kategorien in die Sackgasse. Manches klingt gut, aber ist wertlos, solange es nicht klar definiert ist.

Wir wissen nicht, welche konkreten Ergebnisse unsere Diskussion bringen wird und mit welchem Ergebnis der Strategiekonferenz wir am 2. März weitermachen werden. Bis wir das große strategische Ziel, nämlich eine friedliche, solidarische Welt, auf der alle Menschen überall gute Lebensbedingungen haben, erreicht haben, schlage ich vor, folgende Überlegungen aus dem Beitrag von Benjamin Hoff, zum Ausgangs- und Mittelpunkt unseres weiteren Handelns als linke Partei, zu machen.

"Wir müssen eine Erzählung entwickeln, wie Deutschland und Europa nach unserer Vorstellung in zehn Jahren aussehen sollen. Nicht als Gemälde programmatisch-normativer Idealvorstellungen, die auf Parteitagen mehrheitsfähig sind, sondern als authentische und realistische Erzählung. Über einen sozialen, ökonomischen und kulturellen Reformprozess, für dessen Realisierung wir als Teil eines progressiven Lagers kämpfen.

Erforderlich ist die öffentlich vermittelte lustvolle Arbeit an einem verbindenden Narrativ, das auf der Werteplattform der Solidarität aufbaut. Der erste Schritt dazu ist das Erfordernis, Vertrauen in Solidarität wiederherzustellen. Wir sprechen hier über nicht weniger als das Vertrauen in ein erneuertes Sozialstaatsversprechen - unter den bereits skizzierten Rahmenbedingungen einer Postwachstumsgesellschaft....Nichtsdestotrotz bzw. gerade deshalb ist der Wert der Solidarität das stärkste Pfund, auf dem die Linke ihre Erzählung aufbauen muss. Denn Solidarität baut auf der Erfahrung erlebter oder befürchteter Unsicherheit auf und garantiert Sicherheit durch Ausgleich und Umverteilung." (aus: Die Route wird neu berechnet, B.H.)

* Die Losung der maoistischen Hundert-Blumen-Bewegung 1956/1957

** In dem Meisterwerk "Die Kuh im Propeller" von Michail Soschtschenko stellen die Bauern diese Frage an Grigori Kossonossow

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