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Felix Ehrenberg, BV Charlottenburg-Wilmersdorf

Überlegungen zur Strategiedebatte

Die Partei muss über die tagespolitischen Aufgaben hinaus konkrete Projekte zu einer Veränderung der Gesellschaft anbieten.

Der aktuelle gesellschaftliche Umbruch scheint von mehreren parallel verlaufenden Entwicklungen bestimmt zu sein. Offensichtlich gibt es eine Spaltung entlang der Linie Großstädte und ländlicher Raum. Die BürgerInnen der Großstädte wählen ganz überwiegend progressiv und die politischen Haltungen und Einstellungen sind stark von postmaterialistischen Werten bestimmt. Humanismus im Umgang mit Geflüchteten und Klima- und Umweltschutz spielen eine große Rolle. Im ländlichen Raum erreichen Konservative – und Faschisten – deutlich höhere Zustimmungswerte. Die bestimmenden Themen sind Arbeit, Einkommen und Sicherheit. Zugleich hat die extreme Rechte in der AfD eine Partei gefunden, die erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik das gesamte rechte demokratiefeindliche Spektrum von rechtskonservativ bis zu Anhängern des historischen Nationalsozialismus erfolgreich bündelt. In dieser Situation sammeln sich viele progressiv denkende BürgerInnen vor allem um die Grünen, die als größtmöglicher Gegensatz zur AfD verstanden werden. Gleichzeitig bedrohen die Automatisierung und der sich stetig verschärfende globale Wettbewerb, in den die Volkswirtschaften zueinander gesetzt werden unter den gegebenen Produktionsverhältnissen die Organisation der kompletten Arbeitswelt. Der Umbruch steht bevor und im Rahmen des Bestehenden sind keine Antworten darauf vorhanden.

Die vordringlichste (langfristige) Aufgabe der Linken besteht vor diesem Hintergrund darin die Idee des demokratischen Sozialismus zu bewahren und an den bestehenden Herausforderungen weiterzuentwickeln. Partei und Fraktionen in Bund und Ländern müssen noch stärker als bisher diese Basis des politischen Handelns mit dem Begriff Klimagerechtigkeit verbinden. Zudem muss die Partei als die antifaschistische Kraft wahrgenommen werden, die sie ist; als konsequente Verteidigerin von Demokratie und Rechtsstaat. Die Linke muss klar machen, dass sie in progressiven Regierungsbündnissen als soziale Kraft ebenso gebraucht wird wie als Opposition. Der Begriff des demokratischen Sozialismus sollte dabei nicht verschämt versteckt oder verklausuliert verpackt werden. Keine andere Partei hat eine Vorstellung von einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die über die herrschenden Verhältnisse hinausweist. Gerade diese werden aber von einer zunehmenden Zahl an Menschen als Ursache sozialer und ökologischer Probleme erkannt. Das sollte die Partei offensiv und mutig formulieren.

Trotz effektiven Wirkens in der Opposition muss die Partei den WählerInnen zumindest eine Machtperspektive anbieten können. Es muss wenigstens die Möglichkeit bestehen, dass Die Linke nach einer Wahl als Kraft benötigt wird und es dabei einen Unterschied macht, ob sie an einer Regierung beteiligt ist oder nicht. Natürlich sollte keine einseitige Fokussierung auf die Arbeit in Regierungen und Parlamenten zulasten der außerparlamentarischen Arbeit stattfinden, aber wesentliche Veränderungen der Gesellschaft können nicht allein außerhalb dieser Institutionen stattfinden.

Die Partei muss über die tagespolitischen Aufgaben hinaus konkrete Projekte zu einer Veränderung der Gesellschaft anbieten. Das geht deutlich über Forderungen etwa zum Austritt aus der NATO oder Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit hinaus. Die zentrale Rolle kommt dabei der Bundestagsfraktion zu. Keine andere Organisation in und um die Partei verfügt über derartige personelle und materielle Ressourcen. Diese ausschließlich in der alltäglichen parlamentarischen Arbeit zu nutzen, erhöht nachweislich – trotz sehr guter inhaltlicher Arbeit – nicht die Wahrnehmbarkeit linker Politik und Forderungen. Das gewaltige Potenzial sollte genutzt werden für die Entwicklung konkreter Transformationsprojekte. Als derzeit einziges ist dabei der sozial-ökologische Umbau zu sehen. Hier sind bereits große inhaltliche Fortschritte erreicht worden, die unbedingt in die Öffentlichkeitsarbeit von Partei und Fraktion übertragen werden müssen. Dieses konkrete inhaltliche Angebot ist die notwendige Voraussetzung für eine Diskursverschiebung weg von der Dichotomie aus Klimaschutz und Wohlstand hin zu einer linken Idee von Klimagerechtigkeit eingebunden in eine umfassende Veränderung der gesamten Gesellschaft.

Das Erstarken der extremen Rechten wird wohl auf absehbare Zeit nicht aufzuhalten sein. Dass die AfD in alle Parlamente in Fraktionsstärke eingezogen ist und dass ihre WählerInnen überwiegend angeben, die Partei nicht aus persönlicher wirtschaftlicher Not sondern aus Übereinstimmung mit den Inhalten zu wählen, ist Beleg dafür, dass eine Nachfrage nach einer demokratiefeindlichen und rassistischen Partei besteht. Diese Nachfrage wird weder durch eine funktionierende Sozialpolitik noch durch mehr und bessere Kommunikation mit den BürgerInnen verschwinden (was jedoch keine Argumente gegen Sozialpolitik und intensive Diskussionen mit den BürgerInnen sind). Leider muss die dauerhafte Existenz von Nazifraktionen in den Parlamenten akzeptiert werden – so wie auch in nahezu allen anderen europäischen Ländern. Die wichtigste Aufgabe für Die Linke besteht darin, die Faschisten überall (auch in den Parlamenten) einzuhegen, ihren Bewegungsspielraum einzugrenzen und sie zu isolieren. Verständnis für deren Forderungen und Differenzieren nach Radikalitätsgrad muss unbedingt unterbunden werden. Die Demokratie wird von der Linken mit konsequentem Antifaschismus verteidigt und nicht durch Faschostreicheln.

Das Ringen um die Wohnungs- und Mietenpolitik in Berlin darf als ein Beispiel für ein Funktionieren eines linken Politikansatzes gesehen werden. Das Zusammenspiel aus außerparlamentarischer Bündnisarbeit (hier vor allem mit Mieterinitiativen) und dem Wirken in der Regierung hat in einer Weise funktioniert, wie es der Linken (und zuvor der PDS) nie gelungen ist. Solche Situationen lassen sich nicht einfach herstellen. Aber Die Linke hat in Berlin langfristig den Kontakt zur Mieterbewegung gesucht. Damit war sie ein glaubwürdiger Partner im Kampf um bezahlbare Mieten. In der Regierung gelang es die entscheidende Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen zu besetzen. Im gemeinsamen Ringen für die Mieterinteressen gelang mit dem Entwurf zum Mietendeckel und der Volksinitiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ ein Erfolg, der so einmalig ist. Der Linken ist es mit ihren außerparlamentarischen Bündnispartnern gelungen den Diskurs entscheidend zu verändern. Die Immobilienlobby ist in die Defensive geraten und auch innerhalb der Koalition hat Die Linke durch den Druck von der Straße die nötige Unterstützung zur Überwindung der Zaghaftigkeit der Koalitionspartner erhalten. Die Frage nach dem Mehrwert der Linken im Parlament und in der Regierung wird hier ganz deutlich beantwortet. Dieses Beispiel lässt sich nicht beliebig wiederholen, kann aber durchaus als Blaupause dafür dienen, wie ein linkes Politikverständnis sich in Alltagspolitik übersetzen lässt. Im Umgang mit den Bündnispartnern ist in diesem Zusammenhang Augenhöhe wichtig. Die Linke darf nicht einfach nur ein Organisationsrahmen für außerparlamentarische Bewegungen und deren Durchlauferhitzer sein. Sie muss in der Kooperation selbstbewusst (aber nicht dominierend) und sichtbar sein.

Im Parteileben sollte weniger Rücksicht auf Strömungsbelange gelegt werden. Der permanente Versuch einen Ausgleich herzustellen bei der Aufstellung von Wahllisten, Gremienbesetzungen und Programmen verkompliziert die Prozesse enorm und trägt nicht zur Stärkung der Partei bei. Dies sollte auch berücksichtigt werden mit Blick darauf, dass nur eine kleine Minderheit der mehr als 60.000 GenossInnen überhaupt Mitglied in einer Strömung ist. Darüber hinaus scheinen die diversen Kampagnen der vergangenen Jahre wenig Mehrwert für die Wahrnehmung der Linken in der Öffentlichkeit gebracht zu haben. Gleichzeitig binden sie große personelle Ressourcen. Wesentlich wirksamer ist langfristige beharrliche kommunalpolitische Arbeit. Diese macht die Partei vor Ort sichtbar und bindet WählerInnen. Die Partei sollte die Ressourcen in Zukunft wesentlich stärker zur Unterstützung der kommunalpolitischen MandatsträgerInnen einsetzen. Zuletzt bleibt auch festzustellen, dass sich viele GenossInnen in unterschiedlichen Organisationsstrukturen und Landesverbänden etwas erstaunt zeigten mit Blick auf viele Materialien der zurückliegenden Wahlkämpfe. Merkwürdige Farbgestaltungen und kryptische Botschaften haben sich erkennbar negativ auf die Motivation im Wahlkampf ausgewirkt und für Unverständnis gesorgt. Eine „konservativere“ Herangehensweise wäre hier hilfreich. Zumindest sollten sich die GenossInnen nicht für die Materialien der eigenen Partei schämen müssen.

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