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Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linken

Situation und Perspektiven der Partei DIE LINKE

Das gesellschaftliche und politische Panorama hat sich erheblich verändert. Wir erleben mehrere Umbrüche gleichzeitig, die sich ineinander verschieben. Verwiesen sei auf die tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt mit Digitalisierung, der Plattformökonomien und der immer weiter um sich greifenden Prekarisierung, auf die sich verschärfenden ökologischen Probleme, wie sie insbesondere im Klimawandel zum Ausdruck kommen, und auf die Zunahme weltweiter Konflikte. Politisch ist ein Verlust an Demokratie festzustellen. Die traditionellen Parteien verlieren deutlich an Einfluss. Die Sozialdemokratie ist in einer tiefen Krise. Der Protest gegen die neoliberale Politik geht mehrheitlich nach rechts. Die Grünen etablieren sich als eine Partei, die Antworten auf die immer mehr ins Bewusstsein rückenden ökologischen Probleme versprechen, und auch ansonsten inzwischen als politischer Repräsentant der Zivilgesellschaft angesehen werden. Linke Parteien müssen vor dem Hintergrund dieser zugespitzten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ihre Strategien überdenken und neu ausrichten.

In einem solchen Prozess befindet sich die DIE LINKE. Deshalb auch die allgemeine Forderung innerhalb der Partei nach neuer strategischer Ausrichtung. Die Wahlergebnisse in 2019 zeigen ein sehr heterogenes Bild. Während DIE LINKE bei den Europawahlen und den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen klare Niederlagen erlitt, war sie sowohl in den Wahlen in Bremen als auch besonders in Thüringen sehr erfolgreich. DIE LINKE stellt einen wesentlichen Faktor in der deutschen Politik dar und kann sich im europäischen Umfeld durchaus sehen lassen. Sie hat viele sehr sinnvolle Politikvorschläge insbesondere im Bereich Arbeit, Soziales und Gesundheit gemacht, und beeinflusst auch die politische und gesellschaftliche Diskussion. Doch sie wächst nicht und profitiert insbesondere nicht vom Verlust der Sozialdemokratie. Letztlich muss man feststellen, dass sie sich nicht als eine politische Alternative mit einem klaren Profil erweist.

 

DIE LINKE – eine plurale Partei

DIE LINKE ist eine sehr plurale Partei mit unterschiedlichen Wurzeln und Traditionen. Dies drückt sich auch in den verschiedenen Strömungen aus, die vom Forum Demokratischer Sozialismus (FDS), dem sog. Reformerlager, über die gewerkschaftliche Sozialistische Linke (SL) bis hin zur Antikapitalistischen Linken (AKL) und der kommunistischen Plattform reichen. Das Gewicht der einzelnen Strömungen hat sich ebenso wie Strömungen selbst in den Jahren verändert. Neu entstanden ist die „Bewegungslinke“, die sich nicht als klassische Parteiströmung versteht, sondern den Anspruch hat, Erneuerungsbewegung für eine bewegungs- und klassenorientierte Politik zu sein. Das politische Spektrum reicht von einem pragmatischen eher sozialdemokratisch ausgerichteten Politikkonzept bis hin zu strikt antikapitalistischen Positionen, die allerdings oft abstrakt bleiben. Kontrovers ist durchaus auch die Einschätzung der Rolle und die Haltung zu den Gewerkschaften. Anfangs stark durch die WASG repräsentiert, ist die gewerkschaftliche Orientierung eher schwächer geworden. Lange Zeit wurden die unterschiedlichen Strömungen und Politikkonzepte unter dem Etikett der „Sozialen Gerechtigkeit“ zusammengehalten. Dies gilt heute nur noch bedingt. Natürlich ist das Streben nach „Sozialer Gerechtigkeit“ eine nach wie vor zentrale Ausrichtung, doch verblasst dieses Alleinstellungsmerkmal und hat auch nicht mehr die gleiche identitätsstiftenden Wirkung.

Vor gut einem Jahr wurde „Aufstehen“, wesentlich initiiert von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, aus der Taufe gehoben. Begründet wurde diese Initiative damit, dass die Linke insgesamt stagniert, während die Rechte und extrem Rechte Zulauf erhalten, und dass es somit einer Bewegung bedarf, die in der Lage ist, parteienübergreifend für eine neue gesellschaftlich progressive Bewegung zu sorgen, die auch diejenigen wieder einbezieht, dies sich resigniert von der Politik und den sie vertretenden Parteien abgewandt haben. Die erste Reaktion war mit auf weit über hunderttausend Interessensbekundungen überwältigend und zeigte, dass diese Initiative auf ein wesentliches Unbehagen an der herrschenden Politik und politischen Entwicklung traf. Schon bald jedoch stellte sich heraus, dass der beabsichtigte Einfluss auf die Sozialdemokratie nur sehr unzureichend gelang, von den Grünen ganz zu schweigen. So konzentrierte sich der Einfluss von „Aufstehen“ wesentlich auf die Partei DIE LINKE selbst. Und da „Aufstehen“ nicht mit der Partei, sondern mindestens neben, wenn nicht gar gegen sie gerichtet war trotz aller Beteuerungen, dass man keine neue Partei gründen wolle, trug sie nicht zur Stärkung der Linken bei, sondern beförderte interne Auseinandersetzungen. Letztlich ist das Projekt gescheitert. Es hat DIE LINKE nicht stärker, sondern schwächer gemacht hat.

 

Das Konzept der verbindenden Klassenpolitik und die Gewerkschaften

Die Klassenorientierung gehört zu den zentralen Politikelementen der LINKEN. So heißt es etwa im Erfurter Programm: „Deutschland ist eine Klassengesellschaft. Die Produktion von Waren und Dienstleistungen findet überwiegend in privaten Unternehmen mit dem Ziel statt, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Die große Mehrheit der Erwerbstätigen arbeitet als abhängig Beschäftigte. Sie erhalten nur einen Teil der von ihnen geschaffenen Werte als Lohn, den Überschuss eigenen sich die Kapitaleigner an“. Im Zuge der Entwicklung der Arbeit und des gesellschaftlichen Produktionsprozesses haben sich sowohl die Arbeiterklasse als auch die Klasse der Kapitalisten verändert. Das Konzept  der „verbindenden Klassenpolitik“ stellt in scharfem Gegensatz zur politischen Rechten eine linke Antwort auf die die Spaltung und Fragmentierung unter  den Lohnabhängigen dar. Konstitutiv für das Klassenverhältnis ist das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital. Dabei kann allerdings das konkrete Ausbeutungsverhältnis ganz unterschiedliche Formen annehmen. DIE LINKE erhebt den Anspruch, die Gesamtheit der Arbeiterklasse in ihren verschiedenen Formen zu vertreten, sowohl die Kernbelegschaften wie auch diejenigen in prekären Arbeitsverhältnissen, die Beschäftigten in der Industrie ebenso wie im Handel oder aber in der Pflege. In ihrer praktischen Politik jedoch konzentriert sich die LINKE wesentlich auf die prekarisierten Teile, was durchaus verständlich ist, muss doch das Streben nach sozialer Gerechtigkeit vor allem die am meisten Benachteiligten und Entrechteten im Blickpunkt haben. Damit geht allerdings eine gewisse Vernachlässigung der Beschäftigten in der Industrie einher, obwohl man sich bewusst ist, dass die Prekarisierung längst Einzug gerade auch in diese oft als privilegiert angesehenen Bereiche gehalten hat. Hier muss sich DIE LINKE stärker profilieren, indem sie stärker als bislang die zunehmende Verunsicherung der in der Industrie Beschäftigten aufgreift und dafür Antworten entwickelt.

Es ist zweifellos notwendig, dass DIE LINKE sich stärker sozial verankert, wie dies mit dem Konzept der verbindenden Klassenpolitik angestrebt wird. Dazu ist es notwendig, dass DIE LINKE die Kultur der Arbeit in den Mittelpunkt stellt, von der sich die Sozialdemokratie in ihrer neoliberalen Orientierung weitestgehend abgewandt hat. Dazu gehört auch eine stärkere Verankerung in den Gewerkschaften.

 

Sozial-ökologische Transformation und Demokratisierung der Wirtschaft

Es charakterisiert die Linke, dass sie die ökologische und die soziale Frage miteinander verbindet und daher die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft betont. Dabei darf es allerdings nicht bei einem bloßen Bekenntnis bleiben. Vielmehr muss sie die zentrale Ausrichtung darstellen und damit zum Markenkern der Linken gemacht werden. Notwendig ist, dass sie in dieser Hinsicht wesentlich inhaltlicher und auch politischer werden muss. Und man darf daraus auch keine Generationenfrage machen, sondern verdeutlichen, dass dies eine Klassenfrage ist. Erforderlich ist, dass inhaltlich mehr Anstrengungen unternommen werden, was auch bedeutet, dass die Debatte um Inhalte und Ausrichtung des allenthalben geforderten „New Green Deals“ einschließlich einer linken Industriepolitik intensiviert werden muss. DIE LINKE muss mehr Anstrengungen unternehmen, um Antworten auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu geben. Der gesellschaftliche Produktionsprozess ist in einem tiefgreifenden Umbruch. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich inzwischen die dramatischen ökologischen Auswirkungen einer auf fossilen Energien basierenden Industrieproduktion nicht mehr übersehen lassen. Gefordert sind weniger Ressourcenverbrauch und damit nachhaltige wirtschaftliche Konzepte. Es bedarf nicht nur einer neuen Energiepolitik, sondern insbesondere auch neuer Konzepte im Bereich der Mobilität. Notwendig sind umfangreiche Investitionsprogramme in Sektoren, die für die gesellschaftliche Entwicklung wichtig sind. Dazu hat DIE LINKE auch immer wieder Vorschläge gemacht. Die Linke kann sich dadurch besonders profilieren, indem sie eben nicht allein bei der ökologischen Frage stehen bleibt, sondern dies mit der sozialen Frage verbindet und Antworten entwickelt, die auch die Interessen der Beschäftigten aufgreift. Daher ist auch die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften von wesentlicher Bedeutung.

Doch dies allein reicht nicht. Es ist zu verdeutlichen, dass dies in einer am Profit ausgerichteten Wirtschaft nicht gelingen kann Es bedarf eines grundsätzlich neuen Entwicklungsmodells, eben einer grundlegenden Transformation kapitalistischen Wirtschaftens und damit einer sozialistischen Perspektive. Dies unterscheidet DIE LINKE wesentlich von ökologischen Modernisierungskonzepten kapitalistischer Entwicklung, wie sie etwa von den Grünen vertreten werden.

Eine Strategie der verbindenden Klassenpolitik mit der grundlegenden Perspektive der sozial-ökologischen Transformation ist mit einem umfassenden Konzept der Wirtschaftsdemokratie zu verbinden. Entscheidend ist, dass die Beschäftigten selbst stärker in die Organisation der Arbeit und der Ausrichtung der Unternehmenspolitik beteiligt werden. Damit ist die Ebene von Betrieb und Unternehmen für wirtschaftsdemokratische Konzepte von zentraler Bedeutung. Dies erfordert zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der Mitbestimmung, deren institutionelle und politische Schranken überwunden werden müssen. Als wesentliche Schranke für eine wirkliche Mitwirkung der Beschäftigten erweisen sich die Eigentumsverhältnisse. Erst eine Beteiligung der Belegschaften am Unternehmen, womit diese Eigentümerrechte erlangen, erlaubt auch einen wirksamen Einfluss auf Unternehmenspolitik und -strategie. Es geht um die Frage, was und wie produziert werden soll. Für eine nachhaltige Wirtschaft ist die Produktpolitik von ganz wesentlicher Bedeutung. Wirtschaftsdemokratische Konzepte können jedoch nicht auf der Ebene von Betrieb und Unternehmen stehen bleiben, sondern verlangen eine Einbettung in übergreifende wirtschaftspolitische Konzepte, die auf eine politische Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung im Interesse einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung abzielen.

 

Internationalismus

Das unbedingte Eintreten für Abrüstung und Frieden und gegen jede Form von Krieg ist einer der wesentlichen Kernpunkte  der Politik der LINKEN und stellt ein Alleinstellungsmerkmal unter den bundesdeutschen Parteien dar. Zurecht wird kritisiert, dass dies zu wenig herausgestellt wurde und wird. Gerade angesichts der veränderten geopolitischen Lage mit der verhängnisvollen Politik von Trump, dem Handelskrieg insbesondere zwischen China und den USA, dem Kampf um Einflusssphären zwischen USA, China und Russland und den dadurch verschärften militärischen Interventionen und vor allem der wachsenden Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren Osten ist es notwendig, dass das Profil der LINKEN als einer internationalistischen Friedenspartei gestärkt wird. Nicht dass DIE LINKE nicht immer wieder sich gegen militärische Interventionen gewandt, die Auslandseinsätze der Bundeswehr kritisiert, für das Verbot der Rüstungsexporte und für Verhandlungslösungen ausgesprochen hätte, doch das Profil insgesamt bleibt zu blass. Die friedenspolitischen Positionen der LINKEN sind gerade in der gegenwärtigen schwierigen weltpolitischen Lage außerordentlich wichtig, zumal die Erkenntnis zunimmt, dass Bündnisse wie die NATO und deren Aktivitäten eher ein Sicherheitsrisiko darstellen und es daher einer neuen kollektiven Sicherheitsarchitektur bedarf.

In diesem Zusammenhang gehört auch, dass DIE LINKE ihr europapolitisches Profil stärkt. Die Extrempositionen einer strikten Ablehnung der EU und oder ihrer hoffungsvollen Bejahung führen nicht weiter. Es ist offenkundig, dass die bestehenden Verträge von Maastricht und Lissabon keine Basis für das von der Linken insgesamt gewollte demokratische, soziale, ökologische und friedvolle Europa darstellen.  Die Frage jedoch, ob die EU reformierbar ist oder nicht, ist letztlich eine abstrakte Frage. Entscheidender sind vielmehr die politischen Prozesse, die in Gang zu setzen sind, um die Politik in Europa zu verändern. Die jüngsten Europawahlen haben deutlich gemacht, dass es ein Interesse an der europäischen Entwicklung gibt und DIE LINKE sich als eine linke europäische Kraft darstellen muss. Dazu gehört auch das verstärkte Engagement in der Partei der Europäischen Linken (EL) und in den Bemühungen, die linken Kräfte in Europa zusammenzubringen, wie dies etwa mit den wesentlich von der EL organisierten Europäischen Foren beabsichtigt ist.

Die gesellschaftlichen Umbrüche und die tiefgreifenden Veränderungen im politischen Panorama beinhalten nicht nur Risiken, wie sie im zunehmenden Nationalismus, Autoritarismus, Rechtsextremismus und Rassismus zum Ausdruck kommen, sondern bieten auch den linken Kräften Chancen für eine Veränderung der Politik in Richtung einer sozial gerechteren, solidarischen und demokratischen Entwicklung. Diese Chancen muss die Linke allerdings ergreifen, indem sie sich als politische Alternative mit einem klaren Profil präsentiert. Dazu ist ein umfassender Diskussionsprozess um Ausrichtung und Inhalt der politischen Strategie notwendig. Aus meiner Sicht sollte in den Mittelpunkt die verbindende Klassenpolitik mit Orientierung auf die sozial-ökologische Transformation in Verbindung mit einem umfassenden Konzept von Wirtschaftsdemokratie gestellt werden. Dazu sollte stärker inhaltlich-programmatisch und politisch durch Verankerung in den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften gearbeitet werden. Für eine linke Partei ist es unerlässlich, dass sie  die ökologischen mit den sozialen Fragen verbindet und die Interessen der Lohnabhängigen aufgreift. Es müssen Antworten auf die Veränderungen in Arbeitswelt entwickelt werden. Und konkrete Maßnahmen sind mit einer die Grenzen kapitalistischer Entwicklung überwindender, also mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden. Zugleich muss sie sich als internationalistische Friedenspartei profilieren.

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